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SITZUNGSBERICHTE

DER 527 2 KÖNIGLICH PREUSSISCHEN T2 2

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

JAHRGANG 1906.

ERSTER HALBBAND. JANUAR BIS JUNI.

STÜCK I—XXXI MIT DEM VERZEICHNISS DER MITGLIEDER AM 1. JANUAR 1906.

BERLIN 1906. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.

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INHALT.

Verzeichniss der Mitglieder am 1. Januar 1906 WALDEYER: Gehirne südwestafricanischer Völker . KoENIGSBERGER: Über die Maxwell’schen Gleichungen . E. Baur: Über die infectiöse Chlorose der Malvaceen . Scuorrky: Bemerkung zu meiner Mittheilung: Über den Picard’ en Satz die Bor schen Ungleichungen. (Sitzungsberichte 1904, XLIL) . von WıLamowırz- MOELLENDoORFF: Panionion von Wıramowırz - MOELLENDORFF: Über die ionische lerne Jahresbericht über die Sammlung der griechischen Inschriften Jahresbericht über die Sammlung der lateinischen Inschriften Jahresbericht über die Aristoteles- Commentare Jahresbericht über die Prosopographie der römischen ee —3. Tehrkundert) Jahresbericht über die Politische Correspondenz Frıepricn’s des Grossen Jahresbericht über die Griechischen Münzwerke Jahresbericht über die Acta Borussica Jahresbericht über die Kanr- Ausgabe s Jahresbericht über die Ausgabe des Ibn Saad . Jahresbericht über das Wörterbuch der aegyptischen Shrerhe Jahresbericht über den Index rei militaris imperii Romani Jahresbericht über die Ausgabe des Codex Theodosianus . Jahresbericht über das »Thierreich« Jahresbericht über das »Pflanzenreich« 3 e Jahresbericht über die Geschichte des Kissferohimmele. a: Jahresbericht über die Ausgabe der Werke Wırnerım von Humsorpr's Jahresbericht der Deutschen Commission . : Jahresbericht über die Forschungen zur Geschichte der ehechdentschen Schriftepraehe Jahresbericht der Humsorpr-Stiftung . Jahresbericht der Savıcny - Stiftung Jahresbericht der Borr-Stiftung > Jahresbericht der Hermann und Erise geb. Er Ware Stiftung Jahresbericht der Kirchenväter- Commission Jahresbericht der Commission für das Wörterbuch Are Healenen ee Bericht von Prof. Dr. A. VorLrzkow über seine in den Jahren 1903 —1905 ausgeführte Forschungsreise im westlichen Indischen Ocean Jahresbericht der Akademischen Jubiläumsstiftung der Stadt Ban Übersicht der Personalveränderungen . Mertens: Über die Gestalt der Wurzeln einer lasse aufläsharer leeren. daran Grad eine Primzahlpotenz ist B E E. Frhr. von per Gortz: Unbekannte ee altehristlicher Gemeindeordnungen = B. Grorrauysen: Ein Brief Kanrt’s I. Scuur: Arithmetische Untersuchungen über endiiche he Kncärer. Sikelitutionen Frosentus und I. Scuur: Über die reellen Darstellungen der endlichen Gruppen . Frogentus und I. Schuur: Über die Aequivalenz der Gruppen linearer Substitutionen

Inhalt.

van'r Horr, P. Farur und J. p’Axs: Untersuchung über die Bildung der oceanischen Salz- ablagerungen. XLVI. Anlıydrit, Syngenit, Glauberit und Pentasalz bei 83° und das Entstehen von Chlorcaleium und Tachhydrit . . » 2 2 2 2 2 2 0a

Senurze, F.E.: Beiträge zur Anatomie der Säugethierlungen

Tu. Wırsaso: Fünfter vorläufiger Bericht über die von den Königlichen Mesa in , Milet unternommenen Ausgrabungen . h

Lasvorr: Untersuchungen über die fraglichen een a Geennmipan ee chemisch sich umsetzender Körper. Zweite Mittheilung 2

Mösıus: Können die Thiere Schönheit wahrnehmen und ErnpEnden? -

Adresse zur Silbernen Hochzeit Ihrer Majestäten am 27. Februar 1906

E. Lanpau: Über das Nichtverschwinden einer Dirichlet’schen Reihe .

H. Bausinaver: Über die regelmässige Verwachsung von Rutil und Ps

Voczr: Über Spiegelteleskope mit relativ kurzer Brrennweite

Adresse an Hrn. Franz Bücnerer zum fünfzigjährigen Docorublaun am 2. März 1906

K. Serue: Eine ee Expedition nach dem Libanon im 15. Jahrhundert v. Chr. .

Fıscner und K. Raskr: Beitrag zur Stereochemie der 2.5-Diketopiperazine.

G. EBErnarRD: Secrdekapiihe Untersuchung der Terbiumpräparate von Dr. G. -

van ır Horr und J.p’Ans: Untersuchung über die Se der oceanischen Salzablagerungen. XLVLN. Polyhalit und Krugit bei 53° 2 2

G. Kremm: Bericht über ee an den sogenannten Cocker: ned den meta- morphen Schiefergesteinen der Tessiner Me 111 2

W. Bersr: Das Gabbromassiv im bayrisch-böhmischen ehe in nd 5

Munk: Über die Funetionen des Kleinhirns

PıscueL: Das altindische Schattenspiel En

Koser: Jahresbericht über die Herausgabe der Moiare Ce aka R

Heımerr: Die Grösse der Erde. Erste Mittheilung . a Ni. -

E. N. Fıxcx: Zwei Lieder der deutschen Zigeuner . . » 2. n „Em:

Nernst: Antrittsrede

Drupe: Antrittsrede . A

Akademische Preisaufgabe für 1906

Akademische Preisaufgabe für 1909 2

Preisaufgabe aus dem von MıLoszewskt’schen Losal.

Preis der CuArLoTTen - Stiftung .

Preis der Graf Lousar - Stiftung

Stipendium der Epuarn ee ee

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_ SITZUNGSBERICHTE

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

Eesanımtsitzung am 11. Januar (S. 1)

WALDEvER: Gehirne südwestafricanischer Völker (S. 3)

na KOENSIGSBERGER: Über die Maxwerx'schen Gleichungen. (S. 9)

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceeh (S. 11)

mEL DEM VERZEIC HNISS DER MITGLIEDER DER ARADEMIE u ee ES AM ED JANUAR’ 1906,

| "BERLIN 1906. VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.

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Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften. 3

Aus Sl.

Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften» und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften®.

Aus $ 2.

Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist. Nicht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.

83.

Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll.

in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen.

Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt’ der Umtang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen.

Sa.

Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen.

Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu riehten, dann zunächst im Secretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt- Akademie zu verhandeln.

Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist wenn es sich nicht um wenige einfache Textäguren handelt der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Secretariat geboten.

Aus $5.

Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuscripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.

Mittheilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Niehtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt- Akademie

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Aus 86. r R| Diean die Druckereiabzuliefernden RER müssen, A wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus- reichende Anweisungen für die Anordnung ‚des Satzes und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendun Fremder sind diese Anweisungen von dem Be e Mitgliede vor Einreichung des Manuscripts vorzunehmen. Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasser { seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. 4 Die erste Correetur ihrer Mittheilungen besorgen die | Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an das vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll nach 4 Möglichkeit nicht über die Berichtigung von Druckfehlern. 4 und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängliche

- Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi-

girenden Secretars vor der Einsendung an die Druckerei, E| und die Vertasser sind zur Fragung der ‚entstehenden En A

kosten werpliehten; Aus $ 8. : 14

Von allen in die Sitzungsberichte oder Antigen | aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reden, Adressen oder Berichten werden für die Verfasser, von 2

‚wissenschaftlichen Mittheilungen, wenn deren Umfang i im "Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sonder- “5

abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- treffenden Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben werden. \

Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderabdrucke , für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn die Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. E

89. < N { ei B)

Von den Sonderabdrucken aus den Sterne bannie m; erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 Frei | exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf’ Kosten der Akademie weitere Exemplare bis,zur Zahl von noeh 100 und auf seine Kosten noch weitere era zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Seeretar an- E gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be- treffenden Classe. Nichtmitglieder erhalten 50 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen.

Von den Sonderabdrucken aus den Abhandlungen er hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 30 Frei-_ « exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu. lassen, sofern er diess rechtzeitig dem redigirenden Secretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesammt-Akademie oder der be-

treffenden Classe. Nichtmitglieder erhalten 30 Frei-

exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Secretar weitere 100. Exemplare auf ihre Kosten abziehen lassen,

Pl

817. BEP, Eine für. die akademischen Schriften be= stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener . Stelle anderweitig, sei es aughi nur auszugs-

(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.) n air:

SITZUNGSBERICHTE 1906. I.

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

ll. Januar. Gesammtsitzung.

Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.

1. Hr. WarLpevyer las über Gehirne südwestafricanischer Völker.

Es wird der Bau von 9 Herero- und 2 Ovambo- Gehirnen besprochen. Es scheinen zwei Typen vorhanden zu sein, eine langgestreckte Form mit reichlicher Windungs- gliederung und eine kürzere breitere mit einfacherem Windungscharakter.

2. Hr. KoEnıGsBERGER, corr. Mitglied, übersendet eine Mittheilung:

Über die Maxweır’schen Gleichungen.

Die Maxwerr’schen Gleichungen werden auf ein Minimumprineip, und zwar auf das in der Mittheilung vom 19. Oct. 1905 auf beliebig viele unabhängige Variablen aus- gedehnte Hamırron’sche Prineip für ein mehrfaches Integral zurückgeführt.

3. Hr. SchweEnpener legte eine Mittheilung des Privatdocenten

Dr. Erwın Baur in Berlin »über die infeetiöse Chlorose der Mal-

vaceen« VOT.

Der Verfasser berichtet über Versuche, die zeigen, dass diejenigen Arten der »Panachirung«, die von dem einen Pfropfling auf den andern übergehen, höchst eigen- artige Infeetionskrankheiten sind, die mit der Mosaikkrankheit des Tabaks zusammen in eine Gruppe gehören. Das Virus dieser Krankheiten kann kein parasitärer Mikro- organismus sein, sondern ist sehr wahrscheinlich ein Stoffwechselproduet der kranken Pilanze selbst.

4. Hr. Frogenıvs legt eine Arbeit des Hrn. Dr. I. Schur vor: Arith- metische Untersuchungen über endliche Gruppen linearer Substitutionen. (Ersch. später.)

Der Verfasser untersucht die Darstellungen einer endlichen Gruppe der Ord- nung A, die in einem gegebenen algebraischen Körper irreducibel sind, und leitet Be- dingungen ab, unter denen eine im Gebiete aller Zahlen irreducible Darstellung einer solchen äquivalent ist, deren Coefficienten durch die Aten Einheitswurzeln rational aus- gedrückt werden können.

5. Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Heft 23 und 24 des akademischen Unternehmens » Das Pflanzenreich «, enthaltend die Ha- lorrhagaceae von A. K. ScHiwpLer und die Aponogetonaceae von K. Krause mit Unterstützung von A. EneLer. Leipzig 1905. 06; W.Dıirruey, Das

Sitzungsberichte 1906. 1

2 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

Erlebnis und die Dichtung. Leipzig 1906; Bucoliei Graeei ed. U.v. Wıra- MOWITZ- MOELLENDORFF. Oxford 1905; U. von WıLamowıTz - MOELLENDORFF, Die Textgeschichte der griechischen Bukoliker. Berlin 1906 (Philolo- gische Untersuchungen. Heft 18.); Ibn Saad. Bd. ı, Th.ı: Biographie Muhammeds bis zur Flucht, hrsg. von Eusen Mırrwocn: Bd. 5. Bio- graphien der Nachfolger in Medina, sowie der Gefährten und der Nach- folger in dem übrigen Arabien, hrsg. von K.V.Zerrersteen. Leiden 1905; Monumenta Germaniae historieca. Seriptores. Tom. 32. Pars 1. Hannoverae 1905; E. Arge, Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2. Jena 1906.

6. Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Akademie be- willigt durch die physikalisch-mathematische Classe Hrn. Prof. Dr. Karı Horrermann in Berlin zur Drucklegung seines Werkes » Anato- misch-physiologische Untersuchungen in den Tropen« 1250 Mark; durch die philosophisch-historische Classe Hrn. Sacnau zur Heraus- gabe seines Werkes »Syrische Rechtsbücher« 2600 Mark und Hrn. Privatdocenten Dr. BErToLD MAURENBRECHER in Halle a. S. zu einer Reise nach Rom behufs Vergleichung von 4 Handschriften des Sallust 600 Mark.

Seine Majestät der Kaiser und König haben durch Allerhöchsten Erlass vom ı2. December 1905 die Wahl des ordentlichen Professors der Physik an der Frieprıcn-Wıirnerms-Universität zu Berlin Dr. Pavur Drupe zum ordentlichen Mitglied der physikalisch -mathematischen Classe der Akademie zu bestätigen geruht.

Die Akademie hat in der Sitzung am 14. December 1905 Hrn. Hesrı Le CHATELiER, Professor am College de France in Paris zum correspondirenden Mitglied der physikalisch-mathematischen lasse gewählt.

Die Akademie hat das correspondirende Mitglied der philosophisch- historischen Classe Hrn. Frıeprıcn von SPIEGEL in München am 15. De- cember 1905 durch den Tod verloren.

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Gehirne südwestafrieanischer Völker. Von W. WALDEYER.

Auf mein Ansuchen haben durch Vermittelung der Medieinalabtheilung des Königlichen Kriegsministeriums die HH. Stabsärzte und Oberärzte Dr. Dr. DansauvEr, JunGELs, Mayer und ZÖLLNER, welche in den Laza- rethen unserer Colonie Deutsch -Südwestafrica thätig sind, dem Berliner Anatomischen Institute eine Anzahl Gehirne von Eingeborenen, die in den Lazarethen gestorben waren, zugesendet; einige solcher Gehirne erhielt das Institut auch durch Hrn. Dr. LeoxuArp ScHuLtze, Privat- docenten an der Universität Jena, welcher soeben eine anderthalbjährige Forschungsreise in jenem Gebiete glücklich beendet hat. Hr. Dr. ScnuLrtze ist hierbei durch Mittel der Hunsorpr-Stiftung für Naturforschung und Reisen unterstützt worden.

Ich berichte heute über elf solcher Gehirne. Unter diesen sind neun Gehirne von Herero-Leuten; zwei stammen von Ovambo-Männern; zwei der Herero-Gehirne gehören Weibern an. Sämmtliche Gehirne waren kunstgerecht aus den betreffenden Schädeln entfernt und meist ausgezeichnet (in Formol und Alkohol) conservirt worden; sie kamen grösstentheils in tadelloser Verfassung hier an. Ich verfehle nicht, den Herren, welche sich der Mühe unterzogen haben, dem Anatomischen Institute diese werthvollen Speceimina zu verschaffen, im Namen dieses Institutes zu danken!

Ich schicke der kurzen und vorläufigen Beschreibung, welche ich für diesmal gebe, Einiges über die körperlichen Eigenschaften der Herero und Hottentotten unserer Colonie nach Mittheilungen L. Schurtze’s voraus:

»Der männliche Herero ist von hoher, schlanker Gestalt, im Mittel an 180°" messend. Bei jüngeren Männern von 20 bis 40 Jahren ist das Unterhautfettpolster noch nicht so stark entwickelt, als dass man die gleichmässige und mittelkräftige Musculatur nieht gut erkennen könnte. Zuweilen sieht man auch wahrhaft athletische Gestalten, mit plastischer Ausbildung der Muskeln selbst bis in ihre einzelnen Por- tionen hinein, so dass bei harter Arbeit der Betreffenden der elastische Körper mit dem lebendigen offen zu Tage tretenden Muskelspiel die Aufmerksamkeit jedes Beobachters erregt.

1*

4 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

Der Kopf der Herero erscheint (wie häufig in unserer eigenen Rasse bei langen bartlosen Menschen) vielfach etwas klein im Ver- hältniss zum übrigen Körper.

Im Gegensatze zu den Hottentotten erscheint der Skelet- und Muskelbau der Herero mehr für kürzer dauernde starke Anstrengungen, als für Ausdauer und passive Widerstandskraft eingerichtet, nach welchen Richtungen die Hottentotten Ausgezeichnetes leisten. Der zierlichere Bau der Letzteren gegenüber den Herero fällt sofort in die Augen; die Körpergrösse des Mannes hier, ebenso wie bei den Herero, grösser als die Frau beträgt nur 170°” im Mittel; Männer von über 175°” sind bei den Hottentotten selten; Hände und Füsse auch der erwachsenen Hottentotten-Männer erscheinen geradezu knabenhaft im Vergleich mit denselben Gliedern der männlichen Herero.

Die Musculatur der Hottentotten zeigt auch bei hart arbeitenden Personen keine athletische Ausbildung.

Ein psychologischer Vergleich der Herero mit den Hottentotten führt wohl jeden Beobachter, der mit beiden Stämmen in Berührung kam, zu der Überzeugung, dass die Hottentotten intelleetuell höher stehen als die Herero. Charakteristisch für Erstere ist die Schnellig- keit ihrer Ideenassoeiation. Der Herero, der, in fester Hütte, als Hirt sein Leben zubringt, ist nicht entfernt in die Schule der Beobachtungs- schärfe und Listübung gegangen, die den Hottentotten als halb no- madisirenden Jäger und Wanderhirten erzogen hat.

Im Einzelnen kommt die Verschiedenheit im Denkprocesse des Herero und des Hottentotten deutlich in der Sprache zum Ausdrucke: die Art der Begriffsbildung und des Urtheilsausdruckes ist bei beiden Rassen ebenso verschieden, wie die phonetische Grundlage ihres Sprach- schatzes. «

Ich werde die Gehirne mit den römischen Ziffern I bis XI bezeichnen und, soweit ich die bezüglichen Nachrichten erhalten habe, Angaben über die einstmaligen Träger der Gehirne hinzufügen:

I. Herero Hucko g' von 168° Körperlänge, mager. Hirngewicht frisch = 1265®.

II. Herero Katjirito J', aus der Capitänschaft Gamana, etwa ı8 Jahre alt, mager, 170°” Körperlänge. Hirngewicht frisch = 1450%.

III. Herero Karirombo d', etwa ı2jährig, aus der Capitänschaft Samuel Maherero’s, sehr mager, 150°” Körperlänge. Hirngewicht 1354°.

Auf dem dem Gehirne beigelegten Zettel ist das Gewicht des frischen Gehirns zu 15548 angegeben; ich möchte aber glauben, dass es sich um einen Lapsus handelt, denn beim Nachwägen hier ergaben sich 11258, so dass das Gehirn beim Härten 4298 Verlust erlitten haben müsste, was entschieden zu gross ist, zumal wir bei den an- deren Gehirnen fast stets den gleichen Härtungsverlust von 180 bis 2008 feststellen konnten. Oder aber das frische Gehirn müsste sehr ödematös gewesen sein.

WALDEYER: Gehirne südwestafricanischer Völker. 5)

IV. Herero August dJ', 22 Jahre, Körperlänge 186°”. Körper- gewicht 60“, Gewicht des frischen Gehirns 1390°.

V. Herero Simon d', etwa 17 Jahre, Körperlänge 178°”; Capitän- schaft Samuel Maherero’s. Gewicht des frischen Gehirns 1470%.

VI. Ovambo Sanzi J', gestorben im Etappenlazareth Omaruru ı5.Mai 1905. Körperlänge 175°”. Gewicht des frischen Gehirns 1335°.

VII. Ovambo, 20 Jahre, Körpergewicht 475, Hirngewicht frisch ı132°. Todesursache: Pleuropneumonie.

. VII. Herero Kanakanyara g', etwa 20— 25 Jahre alt; Körper- länge 175°”, sehr schlanke Figur; Körpergewicht 60—62". Hirn- gewicht frisch 12 10°.

IX. Herero d', 24 Jahre alt, Körpergewicht 57°%5; Hirngewicht frisch 1250°. Todesursache: Pneumonie und Peritonitis.

X. Herero 9, 26 Jahre alt, Körpergewicht 57"; Hirngewicht frisch 1164°. - Cystitis purulenta.

XI. Herero 9, 30 Jahre alt, Körpergewicht 40°; Hirngewicht frisch 1162°. Oophoritis und Endometritis.

Es sei hierzu bemerkt, dass die Altersangaben meist auf Schätzung beruhen.

Die im Vorstehenden aufgeführten Gehirne zeigen zwei verschiedene Typen: Nr. I, U, II, V und VII—XI einschliesslich sind lang, schmal und hoch, die übrigen beiden (IV und VI) kürzer, breiter und flacher. Fassen wir der kürzeren Beschreibung wegen die längeren, schmaleren und höheren Gehirne als Gruppe A, die anderen (IV und VI) als Gruppe B zusammen, so können wir ferner feststellen, dass die Gehirne A meist sehr windungsreich sind, mit vorwiegend schmalen Windungen, also zu den stenogyrencephalen Formen gehören.‘ Die Gehirne B zeigen weniger Unterwindungen, und die vorhandenen Windungen sind breiter. Bemerkenswerth ist ausserdem für Gruppe A die starke Entwicklung eines Olfactoriuswulstes, eines Uncus- deckels und die Grösse des Kleinhirns.

Der grössere Windungsreichthum prägt sich unter Anderem recht eindringlich an den Gyri orbitales aus. Während man an den Gehirnen B die H-Grundform der Windungen erkennt, ist dies wegen der vielen Unterwindungen bei A öfters nicht wohl möglich. Dieselben Ver- hältnisse zeigen sich auch deutlich an den Stirnwindungen, insbesondere an der dritten, bei der die Pars triangularis in mehreren Fällen stark gegliedert ist. Dagegen zeigt sich dann die Pars opereularis mehrfach nur klein. Auch die Scheitelwindungen sind mit Nebenfurchen gut

; Vergl. Rerzıus, G.. Das Gehirn des Physikers und Pädagogen Per Apan Sırsesrrös. Biolog. Untersuchungen, Neue Folge, Bd. X. S.14. 1902. Fol.

6 (Gresammtsitzung vom 11. Januar 1906.

versehen. Die Temporalfurchen und -windungen finden sich meist deutlich ausgeprägt und abgegrenzt.

Besondere Aufmerksamkeit wurde für diese erste Mittheilung ge- widmet der Fissura Sylvii, den Gentralfurchen und -windungen, der Fissura parietooceipitalis und der Fissura calcarina in der Gruppe A, und es soll aus den Befunden hier noch Einiges mitgetheilt werden.

Fissura Sylvii. Die neuere anatomische Nomenclatur unterscheidet au dem hierhergehörigen Furchenapparate: die Fossa cerebri lateralis (Sylvii) und die Fissura cerebri lateralis (Sylvii), an letzterer wieder einen Ramus posterior und zwei Rami anteriores, diese als ascendens und horizontalis unterschieden. Ich halte dafür, dass man mit EsBEr- STALLER' am Ramus posterior noch einen Ramus ascendens und des- cendens unterscheiden und benennen sollte, allerdings dann nicht als »Ramus«, sondern als »Pars« ascendens und descendens. Nament- lich ist ein aufsteigender Theil fast stets vorhanden und oft von be- trächtlicher Länge sowie durch Übergänge in andere Furchen aus- gezeichnet. Auch G. Rerzıus in seinem meisterlichen Werke über das Menschenhirn” berücksichtigt diese beiden Ausladungen des Ramus posterior. Bei sämtlichen Herero-Hirnen der Gruppe A sind alle diese Stücke wohl ausgebildet, insbesondere auch die beiden in die dritte Stirnwindung einschneidenden vorderen Äste, so dass die bekannte Dreitheilung dieser Windung fast stets sehr klar hervortritt. Die An- gabe EBERSTALLER’s, dass die linke Fissura Sylvii länger sei als die rechte, fand ich, ebenso wie D. J. Cunnınenam’, bestätigt.

Unter »Centralfurchen« verstehe ich den Suleus centralis (Ro- landi), den Sulceus praecentralis und den Sulcus retrocentralis, den ich nicht missen möchte, obwohl ihn die B. N. A. nicht aufge- nommen haben; ich fand ihn wenigstens bei den Herero-Gehirnen meist gut verfolgbar. Alle diese Furchen mit den dazugehörigen Windungen, den Gyri centralis anterior und posterior, erwiesen sich als deutlich und gut ausgeprägt. Auffallend häufig schnitt der Suleus centralis über die Mantelkante hinaus ein, und ebenso einer der Sulei prae- oder retrocentralis in die Sylvische Furche. Bei den Gehirnen der Gruppe B war dies kaum der Fall.

Die Parietooceipitalfurche fand sich stets wohl entwickelt;

sie trat in allen Gehirnen der Gruppe A 5°”—5°"5 (Fadenmaass) über

! EBERSTALLER, O., Das Stirnhirn. Ein Beitrag zur Anatomie des Grosshirns, S. ır. Wien und Leipzig 1890. Urban und Schwarzenberg. 8.

® Rerzıus, G., Das Menschenhirn. Studien in der makroskopischen Morphologie. 96 Tafeln. Stockholm 1896. Fol.

®° Cunninenam, D. J., The Sylvian fissure and the Island of Reil in the primate Brain. ‚Journ. of Anat. und Physiology Vol. XXV, p. 286. 1891.

Warpeyer: Gehirne südwestafricanischer Völker. 7

dem Oceipitalpole auf die äussere Mantelfläche über und verlief fast stets 1°5— 2°” auf dieser lateralwärts; mehrfach ging sie in die Inter- parietalfurche über.

Die Spornfurche, Fissura calcarina, zeigte sich in etwa der Hälfte der Fälle insofern weniger ausgebildet, als ihr entweder auf einer oder auf beiden Seiten der hintere T-Schenkel fehlte.

Olfaetorius-Wulst (Torus olfactorius). Ich möchte mit diesem Namen eine Bildung bezeichnen, die sich an allen Menschenhirnen findet, jedoch in verschieden deutlicher Ausprägung. Es handelt sich um die beiden orbitalen Windungen jederseits, welche der Fissura longitudinalis cerebri zunächst benachbart sind, d.h. um den Gyrus rectus und den vorn mit ihm bogenförmig zusammenfliessenden nächst- anliegenden orbitalen Gyrus, der zur zweiten (mittleren) Frontalwindung gerechnet wird. Dieser Theil der orbitalen zweiten Stirnwindung ver- läuft meist auch ziemlich gerade, parallel dem Gyrus reetus, und zeigt gewöhnlich nur eine geringe Gliederung. Vorn geht er durch eine kurze quere Bogenwindung in den Gyrus rectus über, von dem er sonst durch den Suleus olfaetorius getrennt ist. Öfter verschmälert er sich nach vorn ähnlich wie der Gyrus rectus; es kommt aber auch vor, dass er vorn breiter ist als hinten (vergl. die Abbildungen auf den Tafeln 58, 60 und 61 bei Rrrzıus, a. a. O.). Diese beiden Win- dungszüge nun, d.h. der Gyrus reetus und der anstossende Zug der zweiten orbitalen Stirnwindung, springen häufig man sieht das allerdings nur an sorgfältig gehärteten und behandelten Gehirnen zusammen wie ein mehr oder minder starker Wulst vor. Ich wähle für diesen Wulst, um für weitere Beschreibungen eine bequeme Kürzung zu haben, einen besonderen Namen, und zwar wegen der topographi- schen Beziehung zum Traetus olfaetorius, den des »Torus olfactorius«, Ölfactoriuswulst. Dieser Wulst ist nun bei den Hererogehirnen der Gruppe A vorzüglich deutlich ausgeprägt und entspricht genau einer Configuration des Schädelinnern. Weniger deutlich tritt er bei der Gruppe B hervor; doch sind die Gehirne dieser Gruppe auch weniger gut erhalten. In einem Falle (Gehirn V) war die quere Bogenwindung etwas erhaben ausgebildet, so dass sie krausenartig den Gyrus rectus vorn zu decken schien. Die vordere Verschmälerung des Gyrus rectus war in allen Fällen sehr ausgeprägt, noch mehr als in der Figur 3 Tafel 61 bei Rerzws (a.a.0.). Bekannt ist die erhebliche vordere Verschmälerung des Gyrus reetus bei den Anthropoiden und den übrigen Affen.

Will man mir noch eben aus Rücksicht bequemerer Dar- stellung einen andern neuen Namen verstatten, so möchte ich als

»Hakendeckel« oder Uncusdeckel (Opereulum unei) diejenige Bil-

fe) Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

dung bezeichnen, bei der die Windungen des Temporalpoles sich so weit über die Hakenwindung, den Uncus, medianwärts hinüber- geschoben zeigen, dass letzterer fast völlig verdeckt wird. Auch das ist ähnlich so bei den Affengehirnen (vergl. die Bemerkung von Rerzıvs a.a.0O. Text, S. 97); doch ist hier nur von den bereits durch MEYxeErT hervorgehobenen topographischen Beziehungen zwischen der unteren Fläche des Stirnhirns und dem Temporalpole die Rede. Es kommt aber auch zu einem Verstecktwerden des Uncus bei dieser Verschiebung des genannten Poles. Es fiel nun auf, dass dies Verhalten sich fast bei allen Gehirnen der Gruppe A zeigte. In diese Kategorie von Bil- dungen, die an niedere Zustände erinnern mögen, gehört endlich auch die geringe Deckung des Kleinhirns durch die Oceipitallappen, die bei den Hirnen der Herero mehrfach angetroffen wurde; auch erschien mir das Cerebellum fast bei allen recht gross.

Das Hirngewicht anlangend, so ist, wie aus den mitgetheilten Zahlen hervorgeht, dasselbe nicht beträchtlich. Nehmen wir die ersten fünf der aufgezählten Hirne, welche fast alle der Gruppe A angehören, dann kommen wir, selbst unter Reduction des Gewichts von II, auf ein gutes Durchsehnittsgewicht von 1386°. Die neuen, auf einem reichen Material basirenden Wägungen MArcnanp’s' ergeben ein mitt- leres Hirngewicht erwachsener g' Deutscher (Hessen) von 1400°; ZiEHEN” berechnet aus den vorhandenen Daten ein mittleres Hirngewicht für Europäer überhaupt von 1353° für Männer und von 1226° für Weiber. Nehmen wir aber die Gewichte der übrigen 9' Gehirne hinzu, so ge- langen wir nur zu 1317°. Übrigens ist auf diese Ziffern, um Durch- sehnittswerthe zu ermitteln, kein besonderer Nachdruck zu legen, da die Zahl der gewogenen Gehirne viel zu gering ist.

Als die Untersuchung der im vorstehenden behandelten Gehirne bereits abgeschlossen war, erhielt ich noch weitere von denselben Völkerstämmen; ich werde die genauere Beschreibung nebst Abbildungen in den Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie geben, so-

bald mir das gesammte, für jetzt erreichbare Material zur Verfügung steht.

! Marcnanp, F., Über das Hirngewicht des Menschen. Abhandl. der mathe- matisch-physischen Classe der Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Bd. XX VII. 1902. ®2 Zienen, Te., In: Handbuch der Anatomie des Menschen, herausgegeben von K. v. BArneLegen, Bd. IV, Nervensystem. ‚Jena, Fischer, 1899.

Über die Maxwerr’schen Gleichungen.

Von Leo KoENIGSBERGER.

ee durch eine an mich ergangene Anfrage, welche die Anwend- barkeit der Resultate meiner in den Berichten der Berliner Akademie vom 19. October 1905 veröffentlichten Arbeit »Über die Differential- gleichungen der mathematischen Physik« zum Gegenstand hatte, er- laube ich mir im Folgenden eine kurze Mittheilung vorzulegen, welche die Maxweır'schen Gleichungen auf ein Minimumprineip, und zwar auf das von mir an der angeführten Stelle auf beliebig viele unab- hängige Variable ausgedehnte Hamırron’sche Princip für ein mehr- faches Integral zurückführen und somit der in diesem Sinne erweiterten Mechanik einordnen soll.

Die zur Existenz eines kinetischen Potentials H erster Ordnung von 4 abhängigen Variabeln p,, p,,...?, und p unabhängigen Variabeln t,,t,, ... 1, nothwendigen und hinreichenden Bedingungen für u partielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung in eben diesen Grössen

NEN ra a —Xe) erfordern bekanntlich zunächst, dass diese Gleichungen in den zweiten

partiellen Differentialquotienten linear sind, und dass ferner für x, =1,2...u die beiden Gleichungen

Be Sue. Sam am. ep di, op” dt, Op! op? und oN,

d UNS, d’ oN, ir oN, : +2, ‚B dt,.dts, Op® op,’ worin

ist, identisch befriedigt werden.

Die Bedingungen nehmen eine sehr einfache Gestalt an, wenn die vorgelegten Gleichungen lineare partielle Differentialgleichungen erster Ordnung mit constanten Coeffiecienten darstellen, welche die ab-

10 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

hängigen Variabeln nicht explieite enthalten, da in diesem Falle die obigen Beziehungen in die identisch zu befriedigende Gleichung

oN, oN, u er I „,‚A=1,2,...M Sirr ron Ip.) übergehen, mit Hülfe deren sich unmittelbar der nachfolgende Satz

ergiebt:

Das kinetische Potential erster Ordnung der sechs ab- hängigen Variabeln X, Y,Z,L,M, N und der vier unabhängi- gen Variabeln ?,2,y,2, welche die Zeit und den Ort dar- stellen,

au ren N NE na) ot dt |

J rI2 ot di). Lund life at 5,8 aM aM on, aN un, “la 2 Ele, Mn alle) ba I 92 az)

liefert für das erweiterte HauınLron sche Prinecip

||| |#arawayas 6

als Hauptgleichungen der Variation die 6 Differentialglei- chungen

a N A Er EN di) NaY 02 1,04 i: 92, 708. 0 Ro de 0/02 ot a}

3n _aX_ dr „22 _ am BL

Hu de dt my’

welche bei bestimmter Bedeutung der Constanten die be- kannten Maxweır'’schen Gleichungen darstellen, die für beliebige Änderungen der elektrischen und magnetischen Kräfte in Isolatoren gelten, die Constanz der Dielektriei- täts- und Magnetisirungsconstanten vorausgesetzt.

13

Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen.

Von Erwin Baur

in Berlin.

(Vorgelegt von Hrn. SchwEnDEnERr.)

Beats in meiner ersten kurzen Veröffentlichung über das vorliegende Thema! habe ich darauf hingewiesen, daß alles das, was man unter den Bezeichnungen Panaschierung, Variegatio, Albicatio usw. zusammenfaßt, keineswegs homologe Erscheinungen sind.

Zunächst einmal gibt es von einer großen Anzahl Pflanzen aus den verschiedensten Familien Varietäten, die dadurch von ihren Stamm- arten abweichen, daß ihre Blätter stellenweise frei von Chlorophyll und deshalb, je nach der Verteilung der chlorophylifreien Partien weißge- fleckt, -gestreift oder -berandet sind. Derartige buntblätterige Varie- täten sind in verschieden hohem Grade samenbeständig: dagegen geht bei Pfropfungen diese Panaschierung nicht von einem Pfropfling auf den andern über.

Völlig verschieden von dieser samenbeständigen Albicatio im en- gern Sinne ist diejenige Art von Buntblätterigkeit, die ich als C’hlorosis infectiosa bezeichnet habe. Diese Buntblätterigkeit ist nicht samenbe- ständig, geht dagegen vom Pfropfreis auf die Unterlage, und umge- kehrt, über. In diesem zweiten Falle ist die Buntblätterigkeit keine der betreffenden Pflanze inhärente Eigenschaft; derartig bunte Pflanzen sind keine Abarten ihrer grünen Stammpflanze, son- dern nur kranke Individuen der betreffenden grünen Arten. Die Buntblätterigkeit ist hier ein krankhafter Zustand, in den jedes Individuum jederzeit gebracht werden kann, und andererseits kann aber auch jederzeit dieser krankhafte Zustand, wie ich im folgenden zeigen werde, durch geeignete Behandlung behoben werden.

Weil man bisher diese ganz heterogenen Arten von Panaschierung nicht auseinanderhielt, glaubte man, in den Fällen, wo eine Pana- schierung von einem Pfropfling auf den andern überging, ein Beispiel

! Erwin Baur, Zur Ätiologie der infektiösen Panaschierung. Ber.d.Deutsch.Botan. Gesellsch. 1904, S. 453.

12 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

von vegetativer Bastardbildung vor sich zu haben. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch bei der durch Pfropfung übertragbaren Pana- schierung, wie ich im folgenden darlegen werde, um eine höchst eigen- artige Infektionskrankheit, die, wie schon 1898 Beiserisk' vermutet hatte, mit der Mosaikkrankheit des Tabaks in ein und dieselbe Klasse von Infektionskrankheiten gehört.

Die Tatsache, daß manche Panaschierungen beim Pfropfen von dem einen Pfropfling auf den andern übergehen, ist schon seit langem be- kannt. In der gärtnerischen Literatur finden sich seit Ende des 17. Jahr- hunderts bis in die neueste Zeit sehr zahlreiche Angaben über Pana- schierungsübertragungen bei Jasminum, Fraxinus, Castanea u. a. Zu- sammenstellungen der älteren Literatur über diesen Gegenstand haben GÄRTNER”, GörperT” und Linpenurn' gegeben.

In neuerer Zeit sind einwandsfreie Untersuchungen und Beob- achtungen, abgesehen vielleicht von Jasminum, an keiner von diesen Pflanzen gemacht worden. Nur die Panaschierungsübertragungen inner- halb der Familie der Malvaceen sind bis in die neueste Zeit von ver- schiedenen Autoren eingehend untersucht worden.

Diese infektiöse Chlorose der Malvaceen hat eine eigentümliche Geschichte. Im Jahre 1868 tauchte in der Gärtnerei von Veitch & Sohn in England unter einer Kollektion von aus Westindien bezogenen Abutilon-Pflanzen ein Exemplar von A. striatum Dicks. auf, das anstatt der normalen grünen sehr schön gelb und grün marmorierte Blätter hatte. Die Pflanze wurde eifrig vegetativ vermehrt und als Neuheit unter dem Namen A. Thompsoni in den Handel gebracht. Exemplare davon gelangten auch nach Frankreich, und hier machte im Jahre 1869 Lemome in Nancy die erste Beobachtung über die Übertragbarkeit dieser Buntblätterigkeit auf andere Abutilon-Pilanzen. Lemome’ be- richtet darüber folgendes: En raison de sa raret@ j’ai voulu le multi- plier en greffant sur I’ A.megapotamicum A.Srt.Hır. ou vewillarium E. Morr. et sur une variete de venosum; or A l’automne les deux sujets de ces deux especes bien determinces ont pousse A des distances variant de 2A15 cent. au dessous du point d’application de la greffe plusieurs pousses com-

! M. W. Beıserink, Über ein Contagium vivum fluidum als Ursache der Flecken- krankheit der Tabaksblätter. Verh. d. kon. Akad. van Wetensch. Deel6, Nr. 5, 1898.

®2 Gäruwner, Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzen- reiche. Stuttgart 1849.

® Görrerr, Über innere Vorgänge beim Veredeln der Bäume und Sträucher. Cassel 1874.

* Linpemurn, Vegetative Bastarderzeugung durch Impfung. Landw. Jahrbücher 1878, Heft 6.

° Lemoıse, Journal de la soeiete impe£riale et centrale d’horticulture de France. 2. ser., tome 3, 1869, S. 47.

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 13

pletement panach@es. Ähnliche Beobachtungen sind bald danach auch in England und in Belgien gemacht worden.

Systematische Untersuchungen sind dann zuerst noch im Jahre ı869 von Morren' und weiterhin besonders von Lixpenutn” angestellt worden. Auf Grund dieser Arbeiten, vor allem derjenigen Linpemurns wissen wir heute über den Verlauf dieser Erscheinung, kurz gefaßt, etwa folgendes.

Wenn man mit einer grünblätterigen Malvacee einen Zweig einer bunten Pflanze derselben, oder einer verwandten Spezies hat ver- wachsen lassen, sei es durch Pfropfung, oder irgendeine andere Transplantationsmethode, dann wird nach kurzer Zeit die jetzt mit dem bunten Sproß im Säfteaustausch stehende, bis dahin grünblätterige Pflanze in der Weise affıziert, daß alle Blätter, die sie weiterhin neu bildet, ebenfalls bunt, gelbfleckig werden. Die alten Blätter dagegen, die zur Zeit der Transplantation schon ausgebildet waren, bleiben unverändert, werden nicht noch nachträglich etwa auch gelb- fleckig. Ebenso wie hier vom Pfropfreis auf die Unterlage, geht diese infektiöse Chlorose auch von einer bunten Unterlage auf ein ur- sprünglich grünblätteriges Edelreis über. In blattlosem Zustande trans- plantierte Reiser infizieren erst, wenn sie nachträglich bunte Blätter gebildet haben (Linpenurn). Ebenso wie Reiser infizieren auch einzeln transplantierte Blätter (Morren).

Für diese Buntblätterigkeit sind die verschiedenen Malvaceen sehr verschieden empfänglich. Hierüber hat besonders Linpenurn” viel ex- perimentiert. Manche Arten, z. B. Lavatera arborea L., sind ganz unempfänglich, werden nie bunt. Von manchen anderen Arten er- _ weisen sich einzelne Exemplare als empfänglich, andere bleiben grün- blätterig, wenn sie auch noch so lange in Pfropfsymbiose mit bunten Pflanzen gehalten werden. Hierher gehört z. B. Kitaibelia vitifolia Wırzp. Bei einer dritten Gruppe von Arten endlich erweisen sich alle Individuen als gleich empfänglich. Dies gilt z. B. für Abdutilon striatum Diczs., A. Sellowianum Res., A. indieum (L.) Dos. u. a.

Die Weise, in der die infektiöse Chlorose sich äußert, ist bei

! Morren, Contagion de la panachure. Bullet. de l’Acad. royale de Belgique. 2.ser., tom. 28, 1869, S. 434.

®2 Linpemurn, Vegetative Bastarderzeugung durch Impfung. Landwirtschaft. Jahrbücher 1878, sowie zahlreiche kleine Aufsätze in Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde zu Berlin, Juli 1870; Bot. Zeit., 1871, Nr. 8; Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde zu Berlin, Febr.u.Oktob. 1871; Gartenflora Bd.46, 1897, S.ı; Bd.48. 1899, S.431; Bd.49, 1900; Bd. 50, 1901; Bd. 51, 1902; Bd. 53, 1904.

® Veröffentlicht sind diese Beobachtungen leider nur zum Teil und sehr zer- splittert. Ich bin für manche bezügliche mündliche Mitteilung Hrn. H. Lixoeuurn sehr zu Dank verpflichtet.

14 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

treten meistens auf den im übrigen rein grünen Blättern nur einzelne große gelbe Flecken auf, bei anderen Arten, z. B. A. Sellowianum Ree., zeigt die Blattfläche eine ganz mosaikartige Zusammensetzung aus rein grünen, rein gelben und grüngelben Feldern in allen möglichen Abstufungen. Bei wieder anderen Arten, z.B. A. indicum (L.) Dox., werden fast die ganzen Blätter bis auf kleine grüne Fleckehen gelb oder weiß und bleiben außerdem klein und runzelig. Bunte Indivi- duen dieser Arten sind meist nicht lebensfähig, sondern gehen ge- wöhnlich, nachdem sie einige Zeit noch kümmerlich vegetiert haben, an der Krankheit zugrunde.

Da die Infektion nur auf dem Wege der Pfropfung erfolgt, war es bisher nicht möglich, diese infektiöse Chlorose auch auf andere Pflanzen als auf Malvaceen zu übertragen. Pfropfungen von Malvaceen auf Angehörige anderer Pflanzenfamilien sind bisher nie gelungen.

Hat eine bis dahin normal grünblätterige Pflanze A. dadurch, daß man sie mit einer bunten Pflanze hat verwachsen lassen, erst einmal einige bunte Blätter getrieben, dann kann man die Ver- wachsung lösen, und die Pflanze A. wird doch bunt bleiben, weiter- hin nur gelbfleckige Blätter bilden. Man kann jetzt auch von einer so bunt gemachten Pflanze aus andere, bis dahin grüne Exemplare anstecken usw.

Von dieser Regel, daß einmal buntgewordene Pflanzen dauernd bunt bleiben, gibt es Ausnahmen. Es kommt vor, daß auf sonst buntblätterigen Exemplaren einzelne Zweige auftreten, die dauernd grün bleiben worauf dies beruht, werde ich in einer späteren Mitteilung besprechen —; ferner aber gibt es, wie Limpemurn gezeigt hat, einige staudenförmige Malvaceen, wie Althaea rosea (L.) Cav., die zwar, wenn sie einmal infiziert sind, während der betreffenden Vege- tationsperiorde nur noch bunte Blätter produzieren, aber nach der Winterruhe im nächsten Frühjahr rein grün austreiben und grün bleiben. Andere Stauden, z. B. Kitaibelia vitifolia Wıruo., behalten die infektiöse Chlorose auch über die Winterruhe, bleiben also, einmal infiziert, zeitlebens und in ihrer vegetativen Nachkommenschaft bunt- blätterig.

Samen von bunten Pflanzen geben nur rein grünblätterige Keim- linge.

Die Übertragung der Krankheit erfolgt nur auf dem Wege der Pfropfinfektion; alle die zahllosen gelbfleckigen Malvaceen, die sich heute in den Gärten vorfinden, stammen, soweit man ihr Schicksal noch verfolgen kann, durch Pfropfinfektion von dem einen A. Thompsoni her, der im Jahre 1868 in England aufgetaucht ist.

in

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 115)

Von großem Einfluß auf die Entwickelung der infektiösen Chlorose der Malvaceen ist das Licht. Im Schatten stehende Exemplare zeigen die Buntblätterigkeit viel weniger deutlich, als sonnig stehende.

Soviel hier vorläufig einleitend und zur allgemeinen Orientierung über die vielen im Laufe der Jahre gesammelten Beobachtungen frü- herer Autoren.

Anatomisch sind Blätter infektiös chlorotischer Malvaceen schon wiederholt untersucht worden, am eingehendsten von ZIMMERMANN', dessen Angaben ich nach eigenen Untersuchungen vollkommen be- stätigen kann. Danach unterscheiden sich mikroskopisch die gelben Blattpartien nur dadurch von den grünen, daß in ihnen die Chloro- phylikörner mehr oder weniger frei von Chlorophyll sind. Die Form der Chromatophoren ist nicht wesentlich verändert, sie sind aber häufig etwas kleiner, als in den grünen Partien. Die gelben Flecke gehen vielfach ganz allmählich in rein grüne über, indem von Zelle zu Zelle die Chromatophoren etwas mehr grüne Farben zeigen; oft ist aber die Grenze auch ziemlich scharf. Häufig wird die Grenze zwischen rein grünen und gelben Partien durch ein Gefäßbündel gebildet. Ab- gesehen von der verschiedenen Färbung der Chromatophoren sind keine durchgehenden Unterschiede zwischen Zellen aus grünen Blättern und Zellen aus gelben Blattpartien festzustellen. Von einem para- sitären Organismus ist nichts zu sehen.

Als was ist nun diese Übertragung der Buntblätterigkeit aufzu- fassen? Wenn man zwei verschiedene Pflanzen aufeinanderpfropft, dann zeigt sich ja allerdings sehr häufig, daß die Unterlage auf das Edelreis einen gewissen formativen Einfluß ausüht, und umgekehrt. Ein Birnenzweig (Pirus communis) entwickelt sich auf Birne als Unter- lage ganz anders als auf Quitte (Cydonia vulgaris). Auf P. communis wird der Zweig sich zu einem normalen Baume, auf Cydonia dagegen zu einem Zwergbäumchen auswachsen. Daß zwei Pfropfsymbionten in solcher oder anderer Weise einander mehr oder weniger formativ beeinflussen, ist die Regel, und diese Tatsachen werden von den Gärtnern ja seit Jahrhunderten ausgenutzt. In das Gebiet dieser gegenseitigen formativen Beeinflussung zweier Symbionten hat man vielfach auch die Panaschierungsübertragung gerechnet; aber mit Unrecht, denn hier liegen die Verhältnisse doch in einem sehr wesentlichen Punkte anders.

Ein Birnenreis, das auf Quittenunterlage als Zwergbäumchen ge- wachsen ist, behält diesen Zwergwuchs nicht bei, wenn man es wieder

! ZImMERNMANN, Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Pflanzenzelle. Heft 2, S.8ı. Tübingen 1891.

16 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

auf eigene Wurzeln bringt, geschweige denn, daß es jetzt sogar andere Birnbäumehen auf dem Wege der Pfropfinfektion mit dieser Eigen- schaft des Zwergwuchses anstecken könnte. Im Gegensatz hierzu bleiben einmal bunt gewordene Malvaceen auch nach der Trennung der Sym- biose mit der ursprünglich bunten Pflanze dauernd bunt und infizieren ihrerseits wieder andere Pflanzen mit der Buntblätterigkeit.

Wenn, um in unserm vorigen Beispiele zu bleiben, ein Birnenreis von der Quittenunterlage formativ beeinflußt wird, so haben wir es hier nur mit der Wirkung veränderter äußerer Bedingungen, vor allem veränderter Ernährung zu tun, mit einer Einwirkung, die völlig homolog derjenigen ist, wie sie verschiedene Bodensorten oder verschiedene Beleuchtung usw. hervorrufen. Es handelt sich hier also nur um eine vorübergehende formative Beeinflussung.

Bei der Übertragung der infektiösen Chlorose wird aber die während der Pfropfsymbiose auftretende Buntblätterigkeit zu einer dauernden Eigentümlichkeit für das betreffende Individuum und auch für alle seine vegetativen Nachkommen.

Zur Erklärung dieses Umstandes könnten wir zweierlei annehmen. Die eine Hypothese wäre folgende: es könnte die bis dahin grün- blätterige Pflanze während der Dauer ihrer Symbiose mit der bunt- blätterigen nicht bloß formativ beeinflußt werden, sondern sie könnte in der Struktur ihres stofflichen Trägers der erblichen Eigenschaften verändert worden sein, d.h. sie könnte ein neues Merkmal, eben das der Buntblätterigkeit erworben haben. Eine der- artige Auffassung ließe sich hören; aber mit einer solchen Hypothese müßten wir auch vorläufig wenigstens auf ein tiefergehendes Verständnis dieser Erscheinung verzichten.

Eine derartige leichte Beeinflußbarkeit der Erbsubstanz durch äußere Eingriffe in der Weise, daß ganz nach Belieben des Experi- mentators ein neues »Merkmal« jederzeit geschaffen oder auch wieder hinweggenommen werden könnte, stände jedenfalls ganz einzig da.

Viel plausibler ist eine zweite Hypothese: wir können annehmen, daß aus einer bunten Pflanze in die damit verwachsene grüne ein uns vorläufig ganz unbekanntes stoffliches Etwas übergeht, was bewirkt, daß auf der bis dahin gesunden Pflanze die Blätter gelbtleckig ge- bildet werden. Über die Natur dieses Etwas wollen wir uns jetzt noch keinerlei bestimmte Vorstellung machen. Ich werde im weitern Texte dieses Etwas vorläufig als „„Virus‘ bezeichnen. Dieses hypothetische » Virus« muß nun zunächst fraglos die Eigenschaft haben, in kranken Pilanzen an Menge zuzunehmen. Wir können, wie ich schon früher ausgeführt habe, durch Transplantation eines einzigen kranken Blattes eine bis dahin gesunde Pflanze infizieren; diese produziert eine un-

IT.

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 17,

begrenzte Menge kranker Blätter; mit jedem einzelnen von diesen Blättern können wir wieder eine ganze andere Pflanze infizieren usf. ad in- finitum. Würde das »Virus« nicht in der kranken Pflanze an Menge zunehmen, so würde es bei jeder Weiterinfektion, ja schon durch das Wachstum der betreffenden Pflanze selbst weiter verdünnt werden, und diese Verdünnungsmöglichkeit wäre natürlich begrenzt. Die jnfektionsmöglichkeit ist nun aber nicht begrenzt; es muß also zweifellos das » Virus« innerhalb der kranken Pflanze an Menge zunehmen.

Mit dieser Feststellung, daß das »Virus« in der kranken Pflanze an Menge zunehmen muß, ist schon einiges gewonnen, und wir können hier mit weiteren Fragestellungen einsetzen.

Eine heute allgemein gültige Überlegung der Pathalogen lautet, daß in allen Fällen, wo wir finden, daß das Virus einer Krankheit sich vermehrt, d. h. bei allen Infektionskrankheiten, dieses Virus ein parasitärer Organismus sein müsse, und zwar deshalb, weil keine toten Stoffe, keine »rein chemische Substanzen« sich vermehren, » wachsen« könnten.

Danach müßte auch unser Virus ein Organismus sein. Dieser Schluß der Pathologen ist aber, wie ich' schon früher betont habe, keineswegs zwingend; denn ein Zunehmen an Menge braucht zunächst einmal nicht bloß auf dem Wege des Wachsens, des Sichvermehrens zu erfolgen. Es könnte z.B. in unserm Falle als Virus auch ein Stoff fungieren, der von der kranken Pflanze selbst erzeugt wird. Es müßte dies dann freilich ein Stoff sein, der auf die embryonalen Blattanlagen einen formativen Reiz ausübte, daß diese sich an Stelle von normalen grünen Blättern zu den fleckigen Mißbildungen entwickelten, zu pa- thologischen Gebilden, die dann diesen selben Stoff wieder neu pro- duzierten usw.

Ferner aber ist es nicht so ohne weiteres erwiesen, daß es nicht doch Stoffe geben könnte, die »wachsen«; darauf werde ich später noch zu sprechen kommen.

In unserm Falle ist es nicht bloß nicht erwiesen, daß das Virus ein Organismus ist, sondern es kann hier, wie ich! bereits früher aus- geführt habe, ein Organismus gar nicht in Frage kommen. Vielleicht darf ich meine Schlußfolgerungen noch einmal kurz rekapitulieren: Der einzige Weg, auf dem nach jetzt bald 40jähriger Erfahrung der Gärtner die Übertragung der infektiösen Chlorose erfolgt, ist der, daß eine gesunde Pflanze mit einer kranken verwächst. Wenn das Virus der infektiösen Chlorose ein Organismus wäre, dann wäre ja die Exi-

! Erwın Baur, Zur Ätiologie der infektiösen Panaschierung. Ber. d. Deutsch. Botan. Gesellsch. 1904, 8.453:

Sitzungsberichte 1906. 2

18 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

stenzfähigkeit dieses Organismus gebunden an die gelegentlichen von den Gärtnern ausgeführten Transplantationen. Vor 1868 hätte ein derartiger Organismus überhaupt keine Existenzmöglichkeit gehabt; denn Fälle, wo zwei nahe zusammenstehende Exemplare der betreffenden Malva- ceen zufällig einmal streckenweise verwachsen, sind zu selten, als daß sie hier in Betracht kämen. Da nun ferner die infektiöse Chlorose sich durch Samen nicht überträgt Sämlinge bunter Pflanzen sind immer wieder rein grünblätterig —, die von ihr befallenen Malvaceen sich aber nur durch Samen vermehren, wäre der hypothetische Erreger mit dem Tode der einmal befallenen Wirtspflanze ja zugleich selber ver- nichtet. Er hat ja so gut wie keine Möglichkeit, in eine andere Wirts- pflanze zu kommen bzw. irgendwie geartete Keime dahin gelangen zu lassen. Die Existenz eines Parasiten mit solchen Eigenschaften ist ganz undenkbar.

Weiter als bis zu diesem einen negativen Schluß auf die Natur des Virus der infektiösen Chlorose ließ sich mit Hilfe der bekannten Be- obachtungstatsachen nicht kommen, und hier setzten deshalb neue von ınir im Laufe des letzten Sommers ausgeführte Versuche ein.

Die Versuche knüpften an an eine zufällige Beobachtung. Ich hatte von einem eingetopften, kräftig wachsenden, stark bunten Bäumchen von Abutilon Thompsoni die Krone abgeschnitten, um sie als .Pfropfreis zu benutzen. Den Topf mit dem völlig blattlosen Stämmchen stellte ich in eine dunkle Ecke meines Gewächshauses. Als mir nach etwa 14 Tagen die Pflanze wieder in die Hände kam, hatte sie einige stark etiolierte Seitentriebe entwickelt. Ich schnitt jetzt diese etiolierten Triebe etwas zurück und stellte den Topf ans Licht. Die Pflanze erholte sich wieder, trieb aber nur rein grüne Blätter und blieb dauernd grün. Ab- leger dieser Pflanze habe ich dann aber später wieder durch Pfropf- infektion buntblätterig gemacht; sie haben also nicht die Empfänglich- keit verloren, sondern das »Virus« war in ihnen zugrunde gegangen.

Auf Grund dieser Beobachtung experimentierte ich jetzt weiter. Ich sehnitt eine Anzahl Exemplare soweit zurück, daß sie keine Blätter mehr hatten, und ließ die Hälfte im Licht, die andere Hälfte im Dunkeln ihre neuen Triebe aus Achselknospen entwickeln. Die Pflanzen im Licht trieben nur bunte Triebe. Die dunkel gestellten Exemplare nahm ich nach verschieden langer (14 bis 30 Tage) Verdunkelung ans Licht, indem ich sie zunächst im feuchten Warmhaus im Halbschatten hielt. Die im Dunkeln von ihnen gebildeten Blätter ergrünten jetzt nachträglich, und zwar erwiesen sich die zuerst gebildeten 2 bis 3 Blätter eines jeden Triebes als noch gelbfleckig, die zuletzt gebildeten, mehr apikal an den etiolierten Trieben sitzenden Blätter waren dagegen rein grün.

E. Batr: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 19

Bei einem Teile dieser Exemplare entfernte ich jetzt die bunten Blätter, noch ehe sie sich völlig entwickelt hatten; die apikalen, wie gesagt rein grünen Blätter ließ ich sitzen. Diese sämtlichen Pflanzen blieben dauernd grünblätterig. Der andere Teil der Dunkelexemplare dagegen, an deren Trieben die basalen, noch bunt entwickelten neuen Blätter belassen waren, bildeten weiterhin wieder bunte Blätter.

Diese Beobachtung brachte mich auf folgende Vermutung: In den bunten Pflanzen entsteht das Virus, das verursacht, daß alle neu entwickelten Blätter gelbfleckig werden, nur im Lichte, und zwar nur in bunten Blättern. In jeder gelbfleckigen Pflanze ist stets nur eine begrenzte Menge des Virus vorhanden, nur soviel ungefähr, als genügt, um etwa 2 bis 3 neu entstehende Blätter bunt zu machen. Diese in der Pflanze vorhandene Virusmenge wird bei der Bildung der neuen Blätter in irgendeiner Weise aufgebraucht, so dass alle weiteren neuen Blätter grün gebildet werden, wenn man nur dafür sorgt, daß kein neues Virus produziert werden kann.

Auf Grund dieser Vermutung wurde jetzt systematisch weiter ex- perimentiert. Ich berichte der Reihe nach über die verschiedenen Versuche.

1. Eine Anzahl stark buntblätteriger Thompsoni-Pflanzen wurden so, wie sie waren, also ohne Entfernung der Blätter, dunkel gestellt. Nachdem sie im Dunkeln einige stark etiolierte Sprosse mit je etwa 3 bis 4 Blättehen gebildet hatten, wurden sie wieder langsam, im Verlaufe einiger Tage, erst in gedämpftes und schließlich in volles Tageslicht überführt. Die etiolierten Blättchen ergrünten jetzt, und auch hier er- wiesen sich die ersten zwei oder drei von ihnen als gelbtleckig, die _ späteren waren bis auf einige kleine gelbe Fleckchen rein grün. Bei einigen so behandelten Pflanzen wurden die sämtlichen alten bunten Blätter entfernt, bevor die Pflanzen wieder dem Lichte ausgesetzt wurden, und ebenso die neu gebildeten Blättchen, soweit sie noch bunt waren. Alle diese Pflanzen sind jetzt rein grünblätterig. Bei den Kontroll- pflanzen dagegen, bei welchen die bunten Blätter nicht entfernt worden waren, bevor die Pflanzen wieder ans Licht kamen, wurden alle nach der Wiederbelichtung gebildeten Blätter gelbfleckig.

2. Bei einer Reihe von Pflanzen ebenfalls wieder nur stark bunten Exemplaren wurden sämtliche alten Blätter und weiterhin an allen Vegetationspunkten die drei zuerst entstehenden neuen Blätt- chen entfernt, die letzteren stets noch ehe sie sich entfaltet hatten. Die Pflanzen standen dabei dauernd im Lichte. Auch hier waren die weiterhin neu entstehenden Blättehen meistens schon rein grün. Nur ganz vereinzelt traten noch gelbe Flecken auf. Diese gelben Flecken wurden mit der Schere aus der im übrigen rein grünen Spreite heraus-

I*

20 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

geschnitten, sobald sie auf dem jungen Blatte deutlich erkennbar wurden. Alle so behandelten Pflanzen wurden rasch rein grünblätterig. An einer von diesen Pflanzen entfernte ich die eben erwähnten kleinen Fleckehen, die auf einigen der nach der Kupierung entstandenen Blätt- chen noch aufgetreten waren, nicht. Bei dieser Pflanze zeigten die nächsten neuen Blättehen schon wieder einige Flecken mehr, und weiter- hin wurde diese Pflanze wieder völlig buntblätterig.

Genau dieselben Resultate ergaben entsprechende Pfropfversuche.

3. Es wurden auf stark bunte Exemplare von Abutilon Thompsoni Reiser von einer grünblätterigen, aber für die infektiöse Chlorose empfänglichen Sippe von A. arboreum aufgepfropft. Bei einem Teile dieser Versuchspflanzen beließ ich an der Thompsoni-Unterlage die Blätter, bei einem andern Teile wurden die Blätter der Unterlage ent- fernt und die Bildung neuer Blätter verhindert. Bei diesen letzteren Versuchspflanzen blieben die Pfropfreiser grün, bei den ersteren wurden sie bunt.

An einem von den Exemplaren, an denen die Blätter der Unter- lage entfernt worden und infolgedessen die Edelreiser grün geblieben waren, ließ ich zwei Monate später aus einer Achselknospe der Unter- lage einen bunten Zweig austreiben. Drei Wochen später, nach- dem an diesem Zweige die ersten Blätter entwickelt waren, bildete auch das Edelreis bunte Blätter. Über hiermit völlig übereinstimmende Beobachtungen hat übrigens früher Liwpenurn' schon berichtet: »Die Übertragung der Panaschüre des Impflings auf die Unterlage erfolgt nur, wenn an demselben bunte Blätter (bei Okulationen das Tragblatt) erhalten bleiben oder aber erst dann, wenn die blätterlosen Impflinge (oder Augen ohne Tragblätter) bunte Blätter entwickelt haben. «

4. Wenn man an Pflanzen von A. Thompsoni alle alten Blätter ent- fernt und ebenso auch die zunächst neu entstehenden jungen Blätter, ehe sie assimilationsfähig werden, wie es für Versuch 2 nötig war, so leiden natürlich die Versuchspflanzen sehr. Ich habe deshalb den Ver- such folgendermaßen modifiziert. Auf Exemplare von grünem A. striatum oder in anderen Fällen A. arboreum pfropfte ich bunte Thompsoni-Reiser, an denen alle Blätter entfernt waren. Diese dann gewissermaßen auf der grünen Unterlage schmarotzenden Sprosse wurden weiterhin ebenso be- handelt wie in Versuch 2, aber sie überstanden diese Prozedur viel besser. Auch sie waren vom 4. oder 5. Blatte ab rein und dauernd grünblätterig.

5. Eine weitere Modifikation dieser Versuche war folgende. Es wurden auf Pflanzen von A.indieum, der sehr empfänglich für die

! Linpenurn, Vegetative Bastarderzeugung durch Impfung. TLandwirtschaftliche

Jahrbücher 1878, lleft 6, S.22 des Separatunıis.

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E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 21

infektiöse Chlorose ist, Blätter des bunten A. Thompsoni transplantiert. Beließ ich derartige Pflanzen dann im Lichte, so wurden sie regel- mäßig infiziert. Man kann jedoch die Infektion verhindern, wenn man nur die transplantierten bunten Blätter (hinter einer Hülle von braunem Packpapier z.B.) dunkel hält. Im übrigen können dabei diese Indicum- Pflanzen dem vollen Tageslichte ausgesetzt sein.

Diese Ergebnisse stimmen alle aufs beste mit den oben als Vermutung ausgesprochenen Sätzen überein.

Gelegentlich dieser Versuche machte ich nun eine weitere wichtige Beobachtung.

An einer Versuchspflanze, die infolge der in Versuch 2 angewandten Therapie grünblätterig geworden war, trieb unten am Stamm eine bis dahin ruhende Knospe aus, und zwar völlig buntblätterig. Ich brachte danach noch an zwei anderen derartigen, seit einem Monat rein grünen Pflanzen durch starkes Zurückschneiden alte ruhende Knospen zum Austreiben; alle trieben bunt aus, und von diesen bunten Sprossen wurden wieder die ganzen Pflanzen infiziert.

Also: Knospen, die zu einer Zeit angelegt werden, in der die Pflanzen bunt sind, entwickeln sich auch später, wenn inzwischen die Pflanzen durch geeignete Behandlung im übrigen völlig grünblätterig geworden sind, zu buntblätterigen Trieben und infizieren dann wieder die ganze Pflanze. Solange diese latent bunten Knospen aber ruhen, infizieren sie nicht. Das paßt gut zu den Resultaten der anderen Ver- suche. Wir haben stets gefunden, daß nur von fertig ausgebildeten, bunten, belichteten Blättern aus neue Blattanlagen infiziert werden.

Wir wissen nun ferner, daß die Menge Virus, die in einer Pflanze zu einem gewissen Zeitpunkte vorhanden ist, verbraucht wird, wenn diese Pflanze neue Blätter ausbildet. Entfernt man diese ersten neu entstandenen Blätter oder verdunkelt sie, so werden alle später ent- stehenden Blätter grün. Das ursprünglich in der Pflanze verteilte Virus muß also bei der Bildung junger Blätter in diesen angesammelt und ver- braucht, oder drücken wir uns einmal etwas anders aus: gebunden werden.

Wir müssen demnach von dem Virus zweierlei Zustände unter- scheiden: einen freien virulenten Zustand, in dem es allein sich in der Pflanze verbreiten kann, und einen zweiten Zustand, in dem es, in den von ihm affizierten Geweben festgehalten, gebunden vorkommt.

Nach dieser Feststellung erscheinen jetzt auch einige andere längst bekannte Erscheinungen in neuem Lichte. So wissen wir, daß die in- fektiöse Chlorose durch Samen nicht übertragen wird. Das hat wahr- scheinlich folgende Ursache. Wir haben gesehen, daß die Menge des zu einem gewissen Zeitpunkte in einer Pflanze vorhandenen Virus sehr klein

22 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

ist, nur so groß, daß sie ausreicht, um etwa 3 bis 4 neuentstehende Blätter gelbfleckig zu machen. Und bei dieser Infektion der ersten Blätter wird das in der ganzen Pflanze vorhandene Virus restlos aufge- braucht, weil das ursprünglich überall zirkulierende Virus gerade in den jungen Blattanlagen, die ein gewisses Mindestalter erreicht, aber ein anderes maximales Entwickelungsstadium noch nicht überschritten haben, gebunden und dadurch angesammelt wird. Nur dadurch, daß die jungen Blattanlagen dauernd in Stoffaustausch mit dem gesamten übrigen Pflanzenkörper stehen, ist diese Ansammlung möglich.

Wir brauchen nun bloß die Annahme zu machen, daß die ältesten jungen Blattanlagen des Embryos im Samen zu der Zeit, in der der Stoffaustausch zwischen Mutterpflanze und Samen aufhört, noch nicht das obenerwähnte Mindestalter erreicht haben. Die Virusmenge, die der Same mitbekommt, wird dann sehr gering sein; sie wird, ober- flächlich geschätzt, zur Gesamtmenge des in der ganzen Pflanze in dem Zeitpunkt der Trennung von Samen und Mutterpflanze vorhandenen freien Virus im gleichen Verhältnis stehen wie das Volumen des Samens zum Volumen der Mutterpflanze. Und diese minimale Menge ist wohl nicht genügend, um später die sich entwickelnde Keimpflanze zu in- fizieren.

Unabhängig von diesen eben geschilderten Versuchen, die ja alle in einem gewissen Zusammenhang standen, stellte ich dann noch einige weitere Versuche an. Zunächst war es mir darum zu tun, Material zu sammeln für die Entscheidung der Frage, in welchen Gewebselementen das Virus transportiert wird.

6. Wenn man auf eine bis dahin grüne, aber für die Krankheit empfängliche Malvacee ein buntes Reis aufpfropft, dann werden in je nach der Intensität des Wachstums und auch je nach der Spezies ver- schieden langer Zeit die an der bis dahin grünen Pflanze neugebildeten Blätter bunt. Dabei kann man leicht feststellen, daß an den Vegetations- punkten, die der Pfropfstelle am nächsten liegen, zuerst bunte Blätter entstehen, an den weiter entfernt liegenden aber erst merklich später. So trat z.B. in einem Pfropfversuche mit A. indieum zu einer Zeit, in welcher an einem Vegetationspunkte in etwa 8 cm Abstand von der Pfropfstelle schon 5 bunte Blätter gebildet waren, an einem andern Vegetationspunkte derselben Pflanze, der 40 cm von der Pfropfstelle entfernt war, das erste bunte Blatt auf; es war dies sechs Wochen nach dem Auftreten des ersten bunten Blattes an dem nahegelegenen Vegetations- punkte. Andere Versuche gaben andere Resultate mit innerhalb sehr großer Grenzen schwankenden Zahlen. Immerhin zeigen die Versuche, daß das Virus sich ziemlich langsam, erst im Laufe von mindestens

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 23

mehreren Tagen, in der infizierten Pflanze ausbreitet. Schon dies eine ließ darauf schließen, daß es wohl nicht mit dem Transpirationsstrom wandere.

7. Auf das gleiche weisen auch Ringelungsversuche hin. Bisher hat in keinem derselben die Chlorose die Ringelungsstelle überschritten. Ich verwendete zu diesen Ringelungen kräftige Pflanzen von Abutilon Avicennae GAERTN.; der Stamm wurde auf eine Strecke von 0.5 cm hin rundum von der leicht abhebbaren Rinde entblößt und dann wurde unterhalb, bzw. in anderen Versuchen oberhalb davon ein buntes Reis von A. Thompsoni aufgepfropft. Der Versuch gelang dreimal, einmal mit dem Pfropfreis oberhalb, zweimal mit dem Pfropfreis unterhalb der Ringelung. In dem erstern Falle erwies sich der Gipfel der Avicennae-Pflanze schon nach zwei Wochen deutlich infiziert; er ent- wiekelte im ganzen danach noch 3 kleine verkümmerte Blätter und starb später vier Wochen nach der Operation ab. Das Stammstück unter der Ringelung trieb, schon ehe der Gipfel abstarb, zwei ruhende Achselknospen aus, die sich im Laufe des Sommers zu kräftigen Zweigen entwickelten. Beide Zweige blieben dauernd grünblätterig. In den an- deren beiden Fällen wuchs ebenfalls das aufgepfropfte Thompsoni-Reis gut an; ich pflanzte vier Wochen nach der Operation die Pflanzen im Garten aus und sie gediehen üppig. Das Stück oberhalb der Ringelung blieb in beiden Fällen gesund grünblätterig, blühte und reifte Früchte. Im August, acht Wochen nach der Operation starb es ab; es war also zwölf Wochen mit dem bunten Thompsoni-Reise verbunden gewesen, ohne infiziert zu werden, während sonst A. Avicennae schon in wenigen Tagen infiziert wird.

h Einige weitere Versuche hatten den Zweck, mehr Aufklärung über die von Linpemurn festgestellte Tatsache zu geben, daß manche Arten immun, manche sehr stark empfänglich sind.

Eine Immunität kann nach Analogie mit den Verhältnissen bei tie- rischen Infektionskrankheiten verschiedene Ursachen haben. Sie könnte einmal dadurch bedingt sein, daß aus irgendwelchen Gründen das Virus nicht in diese Pflanzen eindringt. Eine zweite Möglichkeit wäre die, daß das Virus zwar eindringt, aber durch eine Art von Antitoxin im weitesten Sinne unwirksam gemacht wird. Drittens schließlich könnte das Virus eindringen, würde auch nicht irgendwie neutralisiert, aber die in Rede stehenden Pflanzen könnten sich ganz indifferent verhalten, so wie z.B. das Huhn gegen Tetanustoxin.

Ein einfacher Versuch zeigte, daß die unter 3 genannte Mög- lichkeit hier zutreffend sei.

8. Es wurden im September 1904 auf einige stark bunte Pflanzen von A. Thompsoni Reiser von einer immunen Sippe von A. arboreum

24 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

aufgepfropft. Die Reiser wuchsen kräftig und blieben rein grün, der als Unterlage dienende A.-Thompsoni-Stamm blieb in allen seinen eigenen Zweigen gleich stark bunt. Auf drei dieser Arboreum-Reiser pfropfte ich im Mai 1905 je einen Zweig des hochempfänglichen A. indicum. Diese Indicum-Zweige standen also durch den immunen A. arboreum hindurch in dauernder Verbindung mit dem A. Thompsoni. Traf die unter ı oder 2 genannte Möglichkeit zu, so mußten diese Indieum- Reiser grün bleiben; sie wurden aber in allen drei Fällen fast ebenso schnell geflecktblätterig, als wenn ich sie direkt auf Thompsoni- Pflanzen gepfropft hätte. Daraus folgt, daß das Virus der infektiösen Chlorose auch in den immunen A. arboreum eindringt und in diesem auch keineswegs zerstört wird.

9. Die nächste Frage war jetzt die: Vermehrt sich das Virus viel- leicht auch gewissermaßen »latent« in solchen infizierten Arboreum- Pflanzen? Ich machte deshalb folgenden Versuch: zwei Reiser von A. arboreum, die einige Wochen auf A. Thompsoni aufgepfropft gewesen waren, und in die entsprechend Versuch 8 eine gewisse Menge Virus eingedrungen sein mußte, wurden wieder abgeschnitten und auf grünen stark empfänglichen A. striatum aufgepfropft. Die Reiser bewirkten keine Übertragung der infektiösen Chlorose. Das Virus vermehrt sich also nicht etwa latent in infiziertem immunen A. arboreum. Dies stimmt völlig mit der schon durch die Versuche ı bis 5 ermittelten Tatsache, daß auch in empfänglichen Pflanzen das Virus nur in den gelben Blatt- partien sich vermehrt, in den grünen dagegen nicht.

Soviel hier über meine Versuche.

Auf Grund des durch sie gegebenen Beobachtungsmateriales und der schon früher bekannten Tatsachen können wir jetzt wohl mit ge- nügender Sicherheit folgende Sätze formulieren.

In den gelben Partien der Blattspreite der infektiös chlorotischen Malvaceen wird im Lichte ein vorläufig noch ganz unbekanntes Virus produziert. Dieses Virus verbreitet sich von lebender Zelle zu lebender Zelle nicht mit dem Transpirationsstrom in der ganzen Pflanze und bewirkt, daß alle in einem gewissen Stadium der Entwickelung befindlichen jungen Blätter später ebenfalls buntfleckig werden. Ein- mal von der infektiösen Chlorose befallene Pilanzen bleiben nur des- wegen dauernd selbst und in ihrer vegetativen Nachkommenschaft bunt- blätterig, weil von den alten bunten Blättern aus die an den Vege- tationspunkten neu entstehenden beständig neu infiziert werden. Wird diese Autoinfektion in geeigneter Weise verhindert, so erlischt die Krankheit. Indem das Virus die jungen Blattanlagen infiziert, wird es in irgendeiner vorläufig noch ganz unbekannten Weise unschädlich gemacht; es wird auf diese Art schließlich die gesamte in einer Pflanze

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E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 25

zirkulierende Virusmenge in den jungen Blattanlagen diese affizie- rend festgelegt. Wenn man demnach an einer kranken Pflanze die jungen entstehenden Blätter eine Zeitlang systematisch entfernt und gleichzeitig durch Verdunkeln oder Abschneiden der vorhandenen alten bunten Blätter dafür sorgt, daß kein neues Virus gebildet wer- den kann, dann wird diese Pflanze rasch völlig entgiftet und dadurch rein grünblätterig.

Ebenso wie die eigenen jungen Blätter einer bunten Pflanze von den alten aus infiziert werden, ebenso werden die neu entstehenden Blätter anderer Pflanzen derselben oder einer anderen Art oder Gattung infiziert, wenn nur dafür gesorgt ist, daß sie einige Zeit mindestens mit einem belichteten, bunten, ausgewachsenen Blatte in unmittelbaren Säfteaustausch von lebender Zelle zu lebender Zelle stehen.

Das Virus wandert nicht bloß in Malvaceen über, die für die in- fektiöse Chlorose empfänglich sind, sondern auch in immune Arten. Es ist imstande, von kranken Pflanzen aus durch mit ihnen ver- wachsene immune Pflanzen hindurch in die Zellen empfänglicher Pflan- zen überzugehen, wenn man mit einer immunen Pflanze einerseits eine gesunde empfängliche, andererseits eine kranke Pflanze verwachsen läßt.

Die Frage ist jetzt: Welcherart ist dieses eigenartige Virus?

Daß es sich hier um keinen parasitären Organismus handeln kann, habe ich bereits auseinandergesetzt. Es heißt fast Eulen nach Athen tragen, noch mehr Gründe dagegen anzuführen. Ich will trotzdem auf einige Ergebnisse der eben geschilderten Versuche kurz hinweisen, die mit der Annahme eines parasitären Organismus nicht gut vereinbar sind. Hierher gehört zunächst die absolute Abhängigkeit der Infizierung vom Lichte. Wir müßten ja sonst annehmen, daß der hypothetische Organismus nur im Lichte infektiöse Keime produzieren könnte! Ferner die Tatsache, daß das Virus durch den Transpirationsstrom nicht ge- leitet wird, sondern, wie die Ringelungsversuche wenigstens sehr wahr- scheinlich machen, nur in den Geweben, die der Leitung der plasti- schen Stoffe dienen. Drittens endlich der Umstand, daß das Virus, bei der Entstehung infizierter Blätter verbraucht, gebunden wird. Aus den Versuchen ı bis 5 folgt ja, daß das Virus, das zu einem gewissen Zeit- punkte in einer Pflanze vorhanden ist, sich in den in einem gewissen Entwickelungsstadium befindlichen Blättern restlos ansammelt und hier festgelegt wird. Wenn wir es hier mit einem Organismus zu tun hätten, dann müßte dieser Organismus zunächst eine Entwickelungsphase durch- laufen, in der er befähigt ist, in der ganzen Pflanze sich zu verbreiten; alle diese wanderungsfähigen Keime müßten dann aber in den gerade vorhandenen embryonalen Blättern sich ansammeln und hier festge- halten werden, die Wanderungsfähigkeit verlieren, und erst in alten

Sitzungsberichte 1906. 3

26 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

Blättern, und zwar nur in gut belichteten Blättern, müßten dann wieder wanderungsfähige, infektiöse Keime dieser Organismen gebildet werden.

Für sich allein spricht natürlich keine von allen diesen Beobach- tungen mit absoluter Sicherheit gegen die Annahme eines Parasiten, aber sie alle zusammen schließen im Verein mit der oben S. ı7 kurz rekapitulierten Überlegung die Annahme eines Parasiten doch mit Sicher- heit aus.

Wenn wir also die infektiöse Chlorose nicht auf einen parasitären Organismus zurückführen dürfen, was für Möglichkeiten haben wir dann in Betracht zu ziehen?

Meines Erachtens kommen vor allem zwei Möglichkeiten in Frage. Die eine habe ich bereits früher schon angedeutet. Es könnte ein Stoffwechselprodukt der kranken Pflanze selbst als Virus fungieren. Es müßte dann aber ein Stoffwechselprodukt sein mit folgenden Eigen- schaften: Es müßten die jungen Blätter, oder präziser ausgedrückt, die jungen Chlorophyllkörner so affizieren, daß sie sich nicht zu normalen Organen entwickeln, sondern zu den oben S. ı5 geschilderten Miß- bildungen, in denen dann, als pathologisches Stoffwechselprodukt, wieder genau dieses gleiche Virus gebildet werden müßte.

Diese selbe Hypothese, die ich, wie erwähnt, schon vor etwa einem Jahre ausgesprochen habe, hat vor kurzem Husser' anscheinend ohne Kenntnis meiner Arbeit als »neue Theorie« für die der infektiösen Chlorose sehr ähnliche Mosaikkrankheit des Tabaks aufgestellt. Hunser kleidet seine Hypothese in folgende Worte: »Ich nehme an, daß das Phytotoxin der Mosaikkrankheit, welches primär durch äußere Reize produziert wird, fähig ist, beim Eindringen in normale Zellen eine physiologische Kontaktwirkung auszuüben, mit dem Erfolge, daß sieh dort sekundär dasselbe Toxin bildet.” Mit anderen Worten, die Mosaikkrankheit des Tabaks besitzt die Fähigkeit: physiologisch autokatalytisch zu wirken.«

Daß ein Stoff denkbar ist, der auf den Chemismus bestimmter Pflanzenzellen eine derartige Wirkung ausübt, muß wohl zugegeben werden. Mit dieser Möglichkeit, wenn sie auch nicht gerade sehr wahrscheinlich ist, muß immerhin gerechnet werden.

Die zweite Hypothese ist die, daß es sich ebenfalls um ein Stoff- wechselprodukt der kranken Pflanze selbst handelt, aber um ein Stoff- wechselprodukt, das in gewissem Sinne die Fähigkeit des » Wachsens« besitzt. Ich nehme an, wir haben in dem Virus einen chemisch hoch organisierten Stoff vor uns. Dieser Stoff wirkt auf bestimmte Molekül-

ı F.W.T. Hunger, Neue Theorie zur Ätiologie der Mosaikkrankheit des Tabaks. Ber. d. Deutsch. Botan. Gesellsch. 1905, S. 415. ®2 Von mir gesperrt gedruckt.

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 2orf

gruppen in den embryonalen Blattzellen in analoger Weise ein, d.h. hängt sich an sie, wie nach der Enkuicnschen Theorie' die Toxine sich an die Seitenketten in den von ihnen vergifteten Plasmakom- plexen anhängen. Von den bisher bekannten Toxinen, die damit ihre Wirksamkeit beendet haben, unterscheidet sich das hypothetische Toxin der infektiösen Chlorose nun aber dadurch, daß es imstande ist, unter gewissen Bedingungen zu »wachsen«, d.h. Stoffe, die mit ihm chemisch identisch sind, aus anderen Verbindungen abzuspalten, oder Stoffe dieser Art synthetisch neu aufzubauen. Während nun aber die ursprünglichen Toxinmoleküle in den einmal infizierten Zellen an den Seitenketten der vergifteten Plasmakomplexe festhängen, gebunden sind, sind die in dieser Weise neu entstehenden nicht gebunden, da ja in den alten infizierten Blättern, in denen allein diese Neubildung des Toxins erfolgt, die Seitenketten bereits sämtlich belegt sind. Viel- leicht sind aber auch nicht deshalb keine freie Seitenketten hier vor- handen, weil sie alle mit Toxinmolekülen belegt sind, sondern aus der Tatsache, daß auch alte Blätter gesunder Pflanzen kein » Virus« binden, könnte man schließen, daß die in den embryonalen Blättern eine Zeitlang solange sie infizierbar sind vorhandenen freien Seitenketten auch auf andere Weise als durch die Toxinwirkung ver- schwinden, sowie die Blätter ein gewisses Entwickelungsstadium er- reichen. Die neugebildeten Toxinmoleküle wandern daher mit anderen löslichen Stoffen in der ganzen Pflanze umher, bis sie in Zellen konm- men, wo sie unbelegte Seitenketten vorfinden, d.h. bis sie in em- bryonale Blattzellen kommen. Ich glaube nicht, daß die Annahme von in diesem Sinne wachstumsfähigen Stoffen allzu phantastisch ist. Mir selber scheint von den beiden eben skizzierten Hypothesen die letztgenannte die einfachste zu sein, und ich glaube, daß es am zweck- mäßigsten ist, zunächst mit ihr weiterzuarbeiten.

Von den bisher bekannten Tatsachen steht keine mit ihr im Wi- derspruch, und manche fürs erste schwer verständliche Erscheinungen werden durch sie sogar sehr gut erklärt. Dies gilt zunächst für die eigentümliche Erscheinung, daß das anfangs in der ganzen Pflanze verbreitete Virus sich in den embryonalen Blattzellen fast restlos an- sammelt. Wir haben eben nur in den embryonalen Blattzellen freie Seitenketten. An diesen Seitenketten bleiben die zirkulierenden Toxin- moleküle haften, müssen hier also schließlich fast restlos angesam- melt werden, hineinkommen können sie, aber nicht wieder heraus. Genau dasselbe Gebundenwerden der Toxinmoleküle in den durch sie

! Eine gute Übersicht über die hierhergehörenden Fragen und Tatsachen gibt Dieuvonne, Immunität, Schutzimpfung und Serumtherapie, Leipzig 1905 (4. Autfl.).

28 Gesammtsitzung vom 11. Januar 1906.

gerade affızierten Gewebearten haben wir ja auch bei den sonstigen Toxinen, für die Enrticn seine Theorie aufgestellt hat.

Andere plausible Möglichkeiten, die Erscheinungsfolge der infektiösen Chlorose zu erklären, als diese beiden eben genannten, weiß ich nicht. Da das Virus in der kranken Pflanze zunimmt, kommt nur entweder ein Organismus, oder zweitens ein Stoff von der in der ersten der obigen Hypothesen definierten Art, oder drittens ein in gewissem Sinne wachstumsfäbiges Toxin, wie es in der zweiten Hypothese beschrieben ist, in Frage. Um einen Organismus kann es sich nicht handeln. Die erste der andern beiden Hypothesen ist in ihrer jetzigen Fassung viel zu wenig präzisiert, als daß man sie experimentell prüfen könnte. Im Grunde genommen sagen wir doch mit ihr nichts anderes, als es müsse ein Stoff sein, der auf die befallenen Zellen so wirkt, daß diese später genau eben denselben Stoff produzierten, und das ist nichts weiter als eine Umschreibung der bekannten Tatsachen. Auch wenn man, wie Huneer es getan hat, das Bild gebraucht, der Stoff wirke »phy- siologisch autokatalytisch«, ist nicht viel damit gewonnen. Solange diese Hypothese nicht in irgendeiner Richtung weiter ausgebaut ist, kann sie als Arbeitshypothese nicht gebraucht werden. Es käme also vorläufig für unsere weiteren Untersuchungen nur die zweite Hypothese in Betracht, die man in gewissem Sinne ja auch als einen weitern Ausbau der ersten ansehen kann. Diese Hypothese wird also zunächst durch weitere Experimente zu prüfen sein.

Bisher bin ich noch gar nicht auf die Frage eingegangen, von wo das Virus in den ersten im Jahre 18683 aufgetretenen bunten Abutilon gelangt sein mag. Darüber lassen sich natürlich nur Vermutungen aussprechen. Es liegt am nächsten, anzunehmen, daß aus uns unbe- kannten inneren Gründen in irgendeinem Blatte dieser betreffenden Pflanze derartiges Virus »primär« entstanden sein muß.‘ Vielleicht stammte allerdings auch dieser erste bunte Abutilon auf dem Wege der vegetativen Fortpflanzung von einer bereits bunten Mutterpflanze ab. Das wäre aber unwesentlich; irgendein Abutilon muß einmal aus anderen Gründen als dureh Infektion von einem ältern Blatte aus primär bunt geworden sein.

Darüber, daß seit dem Auftauchen des A. Thompsoni noch ein zweites Mal irgendeine Malvacee primär infektiös chlorotisch geworden sei, ist nichts bekannt.

Vielleicht läßt sich in dieser Frage weiter kommen mit der Unter- suchung von infektiösen Chlorosen bei anderen Pflanzen. Wahrschein- lich steeken in dem, was man alles als »Panaschierungen« bezeichnet, noch manche infektiöse Chlorosen und von vielen solchen verdächtigen »panaschierten« Pflanzen kennt man die Entstehungsgeschichte genau.

E. Baur: Über die infektiöse Chlorose der Malvaceen. 29

Ich selbst habe in der Richtung mit den Gattungen Evonymus, Labur- num, Ligustrum, Ribes, Cydonia, Pirus, Cornus, Croton u.a. zu experi- mentieren begonnen.

Schon in meiner ersten kurzen Veröffentlichung über die infektiöse Chlorose habe ich angedeutet, daß vielleicht auch die Mosaikkrankheit des Tabaks in diese Klasse von Infektionskrankheiten zu rechnen ist. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen der Mosaikkrankheit und der infektiösen Chlorose der Malvaceen ist der, daß bei der ersteren die Übertragung der Krankheit auch auf anderm Wege als dem der Pfropfung erfolgt. Es ist also wahrscheinlich das Virus der Mosaik- krankheit viel beständiger als das der infektiösen Chlorose, das ja nach den bisherigen Versuchen zu schließen nur innerhalb der lebenden Zellen der Malvaceen existieren kann.

Nach den neuesten Mitteilungen Huneers käme dazu noch ein weiterer Unterschied. Huneer vertritt die Ansicht, daß man auch ohne Infektion eine gesunde Tabakspflanze durch geeignete Behandlung ver- anlassen kann, primär Virus zu bilden, daß also der Vorgang, der sich bisher unseres Wissens für die infektiöse Chlorose der Malvaceen nur einmal abgespielt hat, bei der Mosaikkrankheit sich sehr häufig abspiele.

Ein prinzipieller Unterschied wäre das jedoch nicht, nur ein gra- dueller. Ich glaube aber auf Grund eigener Versuche vorläufig noch nicht, daß diese Ansicht Hunsers richtig ist. Mir ist es bisher nicht gelungen, gesunde Tabakspflanzen anders als auf dem Wege der Infektion mosaikkrank zu machen. Ich betone das Wort »gesunde«, weil in einem Versuchsgarten, in dem überhaupt mosaikkranke Tabaks- pflanzen einige Zeit kultiviert wurden, fast alle Tabakspflanzen unbe- absichtigt infiziert sind. Die Krankheit bleibt dabei latent, wenn die Pflanzen unter Bedingungen wachsen, welche der Krankheit entgegen- arbeiten, sie tritt in Erscheinung, wenn man diese scheinbar ganz gesunden Pflanzen unter die Kulturbedingungen bringt, die erfahrungs- gemäß die Mosaikkrankheit begünstigen. Wenn man also nicht mit der peinlichsten Genauigkeit jede Möglichkeit ausschließt, daß die scheinbar gesunden Versuchspflanzen nicht schon latent infiziert sind, darf man daraus, daß eine derartige Pflanze durch geeignete Be- handlung mosaikkrank wird, nicht den Schluß ziehen, daß in dieser Pflanze die Krankheit ohne Infektion primär aufgetreten sei.

Es ist selbstverständlich möglich, daß das Virus der Mosaik- krankheit bisher nicht bloß einmal, sondern häufig primär entstanden ist, aber ich halte das vorläufig noch nicht für erwiesen.

Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei

Sitzungsberichte 1906. 4

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EIER EIN

u. M.

SITZUNGSBERICHTE

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe am 13. Januar. (S. 31) Schortky: Bemerkung zu seiner Mittheilung über den Pıcarp’schen Satz und die Borer'schen Ungleichungen. (S. 32 Sitzung der philosophisch-historischen Classe am 18. Januar. (S. 37) von Wıraumowrrz - MoELLENDORFF: Panionion. (S. 38)

BERLIN 1906.

VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

IN COMMISSION BEI GEORG REIMER.

|

Aus dem Reglement für die Redaction der akademischen Druckschriften.

Aus Sl. :

Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften« und » Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften«.

Aus $ 2,

Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die

»Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka-

demiscelhen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel

das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist. Nielit-

mitglieder haben hierzu die. Vermittelung eines ihrem

Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu Amıulaehe $3.

Der Umfang einer Kutschen Mitteilung soll

in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32,

bei Niehtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Schrift

der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen.

Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung

der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Olasse statt-

haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuseripts ver-

muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde,

so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von saclıkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen.

Sa.

Sollen einer Mittheilang Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u. s. w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, jedoch auf getrennten Blättern, einzureichen.

Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen, Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eioes Sachverständigen an den vorsitzenden Secretar zu richten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt-Akademie zu verhandeln.

Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er- forderliche Auflage bei den Sitzungsberichten 150 Mark, bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seeretariat geboten.

Aus 85.

Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Secretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.

Mittheilungen von Verfassern, welehe nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel naclı nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen®, so bedarf dieser Beschluss der Bestätigung durch die Gesammt - Akademie,

(Fortsetzung auf S, 3 des Umschlags.)

en wissenschaftlichen pe

%

; Aus $ 6. Dieandie Druckerei abzuliefernden Manuseriptemüss ei wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, aus reichende Anweisungen für die Anordnung des Sat und die Wahl der Schriften enthalten. Bei Einsendun Fremder sind diese Anweisungen von dem vorlegen 1 Mitgliede vor Einreichung des "Manvseripta vorzunchm r Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verfasset seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht. Die erste Correctur ihrer Mittheilungen ‚besorgen. di Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an v orlegende Mitglied age ‚Die Correctur soll

und leichten Bere hinausgehen. Umfängli i Correeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des redi Een Secretars vor der Be an ee >

Ficoskat SEHE Bas SE

Von allen i in die Sitzungaberichte oder Abhandlı

Druck 4 Seiten übersteigt, auch für den Buchhandel Sond abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des treffenden ‚Stücks der Sitzungsberichte ausgegeben we

Von Gedächtnissreden werden ebenfalls Sonderaba) für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wen Verfasser sich ausdrücklich damit ern 7 erk

89.

Von den Sonderabdrucken aus den Sitzungs 'ichten erhält ein Verfasser, w eleher Mitglied der Akademie is zu DOREEN: Verthieilnng. ohne weiteres. 50

auf Köhen. der Alsdenie weitere Exeinflarpl bis zu | von noch 100 und auf seine Kosten noch weite, 2 - zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu la sofern er diess Fechtzeitig dem redigirenden 'Seere gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten no Ra zur Vertheilung zu erhalten, so bedar

Gehänden Classe. Nichtmitglieder erhalten 51 > exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei hin r redigirenden Seeretar weitere 200 auf ihre Kosten abziehen wer

hält ein Verfasser, ET Mitglied der Akademie i ist zu unentgeltlicher Vertlieilung ohne weiteres 30 Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zweck auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bi bis zur von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere is zur Zahl von Ban (im ganzen also er. abzichen zu lasse m

gezeigt hat; ware er auf seine Koran noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es da der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der be treffenden Classe. Nichtmitglieder erhalten 30 Fi ie exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei dem redigirenden Seeretar weitere 100 eh: Fa Kosten abziehen lassen.

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SITZUNGSBERICHTE 1906. nl.

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

18. Januar. Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe.

Vorsitzender Secretar: Hr. Auwers. 1. Hr. F. E. Scuusze las »Beiträge zur Anatomie der Säuge-

thierlungen«. (Ersch. später.)

Die von MirLer und Opprr. beschriebenen » Atrien« haben sich nicht als eigenartige Vorräume der Saceuli alveolares nachweisen lassen. Aus dem Durchmesser und der Zahl der Lungenalveolen wird für mehrere Säugethiere die Grösse der gesammten respirato- rischen Fläche berechnet und gefunden, dass diese nicht nur zur Körpermasse, sondern auch zur Grösse und Intensität des Stoffwechsels in Beziehung steht. Bei allen Säuge- thieren kommen glattrandige kreisrunde oder ovale Löcher in den Alveolensepten vor, jedoch in sehr verschiedener Menge. Während beim Faulthier nur in wenigen Septen ver- einzelte Löcher zu finden sind, treten sie beim Igel, Maulwurf und bei der Spitzmaus so reichlich auf, dass die Alveolensepta siebartig durchlöchert erscheinen. Im Gegen- satze zu den sehr engen Bluteapillarnetzen der Alveolensepta erscheinen die Capillarnetze der Alveolenwände, welche an die Pleura, die Bronchien, die gröberen Blutgefässe und an die bindegewebigen Scheidewände der Lungenlappen anstossen, erheblich weitmaschiger.

2. Hr. Schortey machte zu seiner Mittheilung im Sitzungsbericht vom 27. Oetober 1904 »Über den Pıcarn’schen Satz und die Borer’schen Ungleichungen« den umstehend folgenden Zusatz.

Es wird die Natur einer Hülfsfunetion erörtert, die in der erwähnten Arbeit auftritt.

3. Hr. F. E. Scuurze überreichte die von den HH. H. SricHEL (Hagen) und Rırrarrn (Berlin) als 22. Lieferung des »Tierreich« be- arbeitete Darstellung der Schmetterlingsfamilie der Heliconüdae sowie den von Hrn. Prof. L. von Grarr bearbeiteten ersten Theil der Turbellaria, die Acoela umfassend, welcher die 23. Lieferung des »Tierreich« aus- macht. Derselbe überreichte ferner seine Arbeit »Über die Xenophyo- phoren, eine besondere Gruppe der Rhizopoden«. Diese mit 3 Tafeln ausgestattete Monographie ist in dem XI. Bande der » Wissenschaft- lichen Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer “Valdivia’ 1898 —1899« enthalten.

4. Hr. Ensermanwüberreichteim Auftrage des Herausgebers Hrn. Prof. R. Fıex in Prag den 4. Band der Gesammelten Schriften von Avorr Fick: Vermischte Schriften einschliesslich des Nachlasses. Würzburg 1905.

Sitzungsberichte 1906. >

32 Sitzung der physikalisch - mathematischen Classe v. 18. Januar 1906.

Bemerkung zu meiner Mittheilung: Über den Pıcarn-

schen Satz und die BoreL'schen Ungleichungen. (Sitzungsberichte 1904, XL.)

Von F. ScHoTTKY.

In einem der Sätze, die in dieser Arbeit aufgestellt waren, tritt der Factor n auf, definirt als der kleinste unter den drei absoluten Werthen der Ausdrücke:

1 u—b a—c —C Dt ef ® c—b 08 Sera 08 aber os 2—b cal

Das Zeichen »log« bedeutet hierbei den reducirten Logarithmus, dessen zweite Coordinate kleiner oder gleich #7, aber größer als —r ist; a,b,c sind drei verschiedene Constanten, 2, der Werth der Func- tion 2 im Mittelpunkte «..

Der Werth von nr ist hiermit zwar bestimmt durch den von 2. Um aber sagen zu können, dass n analytisch definirt sei als Function der beiden Coordinaten von 2,, muss man 2, als Veränderliche auf- fassen und für jeden der drei aufgestellten Ausdrücke angeben, in welchem Theile der 2,-Ebene er unter allen dreien den kleinsten ab- soluten Werth hat. Man könnte zunächst vermuthen, dass die Curven, in denen die drei Gebiete sich gegenseitig abgrenzen, transcendente seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. Von den drei Ausdrücken hat der erste, zweite oder dritte den kleinsten absoluten Werth, je nachdem in der Identität

(,— a) (b— ce) + (us —b) (c— a) + (,— ec) (a—b) = ©

das erste, zweite oder dritte Glied absolut genommen das kleinste ist. Es sind demnach drei Kreisbogen, die die Begrenzung der drei Gebiete bilden; sie treffen in den Endpunkten unter einem Winkel von 120° zusammen.

So einfach dies ist, ist doch ein Beweis nöthig, dass hiermit die Grenzen der Gebiete richtig angegeben sind. Statt a,b,c können wir die speeiellen Werthe 1,0 und oo nehmen; die Veränderliche &%

ee

on

N

Scnowıry: Zum Pıcarn’schen Satz. 383

bezeichnen wir mit u. Zu zeigen ist demnach, dass |log(w)| dann und nur dann der kleinste unter den drei Werthen

log ( > ) log ( -.) "\ı—u u

ist, wenn |1—u]| der kleinste unter den drei Werthen |ı—u]|, || und 1 ist.

log (w)| ,

Vorauszuschicken ist, dass zwar log (wu) eine unstetige Function ist, der absolute Betrag davon aber eine stetige, auch beim Durch- gang durch die negative Abseissenlinie. Für v=o und v= 0 wird allerdings |log(w)| unendlich gross; aber der reciproke Werth nähert sich stetig dem Werthe o bei der Annäherung an diese Punkte. Es ist ferner ausnahmslos:

=) u

und auch, wenn x und u’ conjugirte complexe Grössen bedeuten, llog(w’)| = |log(w)|. In allen diesen Beziehungen verhält sich |log (u) |

= |log (u) |,

N I so, wie z.B. |u+—|. u

Das Gebiet @, in welchem |r—u|<[|u| und <Sı

ist, wird begrenzt durch einen Kreisbogen und die zugehörige Sehne. Der Bogen ist ein Theil des Kreises, der um den Punkt ı mit dem

5 e 4 1 2 . 47 : : Radius ı beschrieben ist; seine Länge ist —-; seine Endpunkte sind

die Wurzeln der Gleichung ”—u-+1 = 0, und die Mitte des Bogens

ist der Punkt v= 2. Längs der Sehne ist der reelle Theil von u gleich +, so dass hier # und 1—u conjugirte complexe Grössen sind. Um zunächst zu zeigen, dass in dem Gebiete @ durchweg

(2 N

log (uw) |< ist, betrachten wir den Quotienten

Diese Function ist unstetig längs der beiden Abschnitte der Ab- seissenlinie von © bis —0o und von ı bis co, von denen die letztere Strecke, von v=ı bis uv= 2, in das Gebiet @ hineinragt. An jeder anderen Stelle hat F(w) regulären Charakter. Der absolute Betrag von F(u) dagegen ist endlich und stetig in jedem endlichen Gebiete, das den Nullpunkt nieht enthält also jedenfalls im Gebiete @ und

5*

34 Sitzung der physikalisch -mathematischen Classe v. 13. Januar 1906.

darüber hinaus. Folglich muss |F(w)| im Gebiete @ einen Maximal- werth haben, der entweder an der Grenze oder auf der Strecke von ı bis 2 erreicht wird.

Auf der Strecke ı bis 2 ist log (w) reell, positiv und = log (2),

I een er log (,) dagegen imaginär und absolut genommen grösser als =, T—Uu

da der imaginäre Theil gleich ri ist. Folglich ist längs dieser Strecke |F(u)| kleiner als ı. Längs der Sehne sind u und 1 —w conjugirte Werthe und daher

log (w)| = |log(ı —u)| =

längs der Sehne ist also |F(w)| gleich 1. Für die Punkte des Bogens kann man setzen:

1 (.,) =id;

Tr dabei variirt zwischen 7 und auf der einen, zwischen —r und 3

auf der andern Hälfte.

Beschränken wir uns auf die eine Hälfte, so haben wir:

T e=r—2u, O<SwS—;

I ? 3 18.) =ir—2u),, T-U=—e",

u= e'*.2cos(w), log(u) = iw-+log(2 cos (w)).

Es ist daher, wenn wir zur Abkürzung die positive Grösse log (2 cos(w)) mit f(w) bezeichnen:

. _ rlfw))‘

| F(u) (7 2w)” 2 ‚. FeWo) 3) ER) ı—|F(w)|’ = en

und mithin hat ı—|F(w)| dasselbe Vorzeichen wie:

9(w) = Y(r u) (mr zw) —f(w) Es ist aber: 27 ans

g(w) = tglw) a

(F— uw) (7 30) ;

|

Scnorrky: Zum Pıcarv’schen Satz. 35

Tr und, für oSu<-—: & 27 3w

ig(w) <V3, ———— >Y3. Denn es ist: (27 zu)’ = 3(# w) (Tr 3w) + 7°. Hiernach ist g’(w) negativ und g(w) wächst mit abnehmendem Argu- ment. Da g(w)=o0 ist für „= % so ist g(w) positiv für die klei-

neren Werthe. Es ergiebt sich wieder: |F(w)| < ı.

Dasselbe gilt für die andere Hälfte des Bogens, da zu conju- girten Werthen von u derselbe Werth von |F(w)| gehört.

Da demnach weder auf der Grenze von @, noch auf der Strecke von ı bis 2 |F(w)| den Werth ı übersteigt, so ist im Innern überall: |F(uw)|< ı. Das heisst, es ist:

log er > )

h I Ersetzt man «u durch —, so folgt, dass genau unter denselben Be- U

I 108 (1-4)

ist. Im Gebiete @ ist demnach |log(w)| der kleinste von den drei

log (=) log ( 2) :

N) . I I ° mi Ersetzen wir u durch - oder I——, so erhalten wir ein U

log(w)| < für u—ı]|<ı, [u—ı]<|u]|.

dingungen für u:

log (w)| <

und

Werthen |log (w) |,

zweites Gebiet lul<ı, |u|<s|ı—u|,

in dem der zweite Werth, und ein drittes: vul2ı, [u-ıl>ı,

in dem der letzte der kleinste ist. Alle drei Gebiete erfüllen zu- sammen die ganze Ebene. Dadurch ist der Satz, um den es sich handelte, bewiesen.

Hr. Vıvantı erwähnt meine Arbeit über den Pıcarv’schen Satz in seinem Buche: »T'heorie der eindeutigen analytischen Funktionen « (S.293, Anm.) und fügt hinzu: »Nach Aussage des Verfassers ist sein Beweis grösstentheils nur eine Umformung des Borer’schen«. Dem gegenüber habe ich zu bemerken, dass durch die Äusserung, auf die

36 Sitzung der physikalisch-mathematischen Classe v. 18. Januar 1906.

Hr. Vıvanrı hinweist, der Inhalt meiner Arbeit keineswegs erschöpfend charakterisirt wird. Das Thema meiner Arbeit ist der Beweis des allgemeinen Pıcarv’schen Satzes (vergl. die Inhaltsangabe auf S. 1243 und den Wortlaut des Satzes auf S.ı258 der Sitzungsberichte von 1904). Bekanntlich hat Hr. BoreL nicht dieses für die ganze Ana- lysis fundamentale Theorem bewiesen; sein Beweis bezieht sich nur auf den speciellen Fall der ganzen transcendenten Functionen. Das Problem, den allgemeinen Satz direct zu beweisen, ist vor zehn Jahren von Hrn. Picarn gestellt in unmittelbarem Anschluss an die Borer'sche Mittheilung', und die Vermuthung, die Hr. Pıcarn ausspricht: »dass in diesem Falle eine Analyse von der Art derjenigen des Hrn. BorEL nicht ausreichen werde, um zum Beweise zu gelangen«, wird durch meine Arbeit bestätigt. Denn zu den grundlegenden Borer'schen Ge- danken, deren Wichtigkeit sich auch durch meine Untersuchung auf's Neue ergiebt, muss in $ 3 zum Beweise des allgemeinen Satzes eine zweite Kette von Schlüssen hinzutreten.

e ! Remarques sur la communication precedente de M. Borer. Par M. Emıte Pıcarn. Comptes rendus 1896, p. 1048.

Ausgegeben am 25. Januar.

37

SITZUNGSBERICHTE La IM.

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

18. Januar. Sitzung der philosophisch--historischen Classe.

Vorsitzender Secretar: Hr. Dies.

1. Hr. Srumepr las über die Eintheilung der Wissenschaften.

(Erscheint später.)

Um den wesentlichen Eigenthümlichkeiten bestimmter Wissenschaften, wie der Psychologie, der Geschichte, der Mathematik, gerecht zu werden, muss man statt Eines Prineips eine Mehrheit sich kreuzender Eintheilungsgründe benutzen, deren jeder die Mannigfaltigkeit des Wissenschaftssystems von einem besonderen Gesichtspunkt aus beleuchtet.

2. Hr. von Wıramowırz-MoELLENDORFF legte eine Mittheilung vor:

»Das Panionion«.

Das Centralheiligthum des Bundes der ionischen zwölf Städte ist nicht älter als der Anfang des 7. Jahrhunderts, folglich gehört auch der Bund nicht in die Urzeit, sondern ist unter dem Drucke der Lydergefahr geschlossen.

3. Hr. Dırtary legte eine Mittheilung des Hrn. Dr. GROETHUYSEN

in Berlin vor: »Ein Brief Kanr's«. (Ersch. später.)

Der von dem Verfasser in Paris aufgefundene Brief Kanr’s an Linoner aus dem Jahre 1759 betrifft den Streit über den Optimismus.

4. Es wird vorgelegt: Deutsche Texte des Mittelalters, hrsg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Bd. IH: Johanns von Würzburg Wilhelm von Österreich, hrsg. von E. Reerı. Bd.VI: Das Leben der Schwestern zu Töss, beschrieben von ELsBET STAGEL, hrsg. von F.Vrrrer. Berlin 1906.

38 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 18. Januar 1906.

Panionion.

Von ULrıcn von WILAMOWITZ- MOELLENDORFF.

nz IV ı erzählt über die Entstehung der dorischen Säule folgende Geschichte. Ion, der Sohn des Apollon und der Kreusa, zieht nach Karien, gründet die ionischen Städte, und als man dem Apollon Pa- nionios einen Tempel bauen will, wie er ihn in Achaia gehabt hatte, kommt man auf die kanonischen Verhältnisse der dorischen Säule. Als die ionischen Städte, die Ion gründet, werden nicht bloß die be- kannten zwölf aufgeführt, sondern hinter ihnen eine dreizehnte, Melite. Haec Melite propter civium adrogantiam ab his ciwitatibus bello indicto com- muni consilio est sublata, cuius loco postea regis Attali et Arsinoes beni- ‚ficio Zmyrnaeorum eivitas inter Ionas est recepta. Der merkwürdige Be- richt bezeichnet Myus als aufgegangen in Milet; das war es am An- fange des zweiten Jahrhunderts' noch nicht. Der Apollon Panionios statt des Poseidon” ist wohl eine Flüchtigkeit Vitruvs. Ebenso ist an- erkannt, daß der König Attalos fälschlich genannt ist. Neben Arsinoe fordert man Lysimachos, der so vielfach in die Verhältnisse Ioniens eingegriffen hat und als Gründer Smyrnas diese Bestimmung treffen mußte. Falsch wird auch der Name der Stadt Melite angegeben, denn bei Stephanus steht Menia mönıc Kapiac, "ERATAloc TENEANOTION A, Ö TIOAITHC Menıevc. Damit war solange wenig anzufangen, als dies die einzigen Zeugnisse waren. Nun sind aber zwei Urkunden hinzugekommen, die

! Philipp V. hat es im Jahre 201 auf seinem Plünderungszuge von Karien her den Magneten geschenkt (Polyb. 16, 24); diese haben es eine Weile auch unter den Römern behauptet (Inschr. von Magnesia 93); aber Strabon 636 und dann Pausanias und Plinius kennen es als milesisch.

2 Arıöanon TTAnı@onIoc erscheint in einer attischen Inschrift 1G. Ill ı75, aber hinter KaArıoc in einer Reihe von “Erıikafceic. Man könnte freilich denken, daß Milet den Apoll der Branchiden zum panionischen hätte machen wollen; aber von dem wissen wir genug, um zu versichern, daß so etwas nicht geschehen ist.

von Wıramowırz-MOELLENDORFF: Panionion. 39

wenigstens die Hauptsache feststellen und dann weitere Schlüsse von großer Tragweite gestatten.

Das eine ist ein Brief des Königs Lysimachos an die Samier aus den letzten Jahren seiner Regierung, der zwar schon im CIG. steht, kopiert von einem Steine, der seit Jahrhunderten in Oxford ist, aber dennoch nicht einmal vollständig gelesen war." Da der Stein in Samos aufgestellt war, sind die Samier mit der Entscheidung des Königs zufrieden gewesen. Das bestätigt sich auch in dem Eingange seines Schreibens, in dem er sagt, er würde die Appellation der Prieneer gar nicht angenommen haben, wenn er hinreichend darüber informiert ge- wesen wäre, daß die Samier das fragliche Gebiet seit so langer Zeit inne hätten; nun wären die Gesandten beider Parteien einmal zur Stelle gewesen, da hätte er die Untersuchung führen müssen. Es folgen die Darlegungen von Priene und von Samos; die letzteren sind zum großen Teile verloren, die Entscheidung des Königs ganz; allein es kann an ihr kein Zweifel sein. Die Prieneer haben auch später das fragliche Gebiet, die Feldmark, die nach einer verschollenen Ortschaft Batinetos hieß, niemals wieder besessen noch beansprucht.” Sie hatten nur gedacht, da der König ihnen vorher gegen Magnesia” günstigen Bescheid gegeben hatte, bei ihm auch mit dieser Revindikation durch- zukommen; aber die Untersuchung, die der König anordnete, hatte den entgegengesetzten Erfolg. Was von den Ausführungen beider Parteien erhalten ist, muß ich mitteilen:

! Borernu ÜlG.2254 nach Cuanpter. Hicks, Greek historical Inscriptions 152 nach eigner sehr fördernder Abschrift. DrrrengErGer, Inser. Orient. 13. Ich habe im Appa- rate der Akademie einen Abklatsch der ersten ı5 Zeilen und eine kleine, aber scharfe Photographie zur Verfügung gehabt. Eine größere, die ich durch Hırrers Ver- mittelung eben noch erhalten habe, ist verschwommen. Der Stein ist rechts vollständig, aber abgerieben. Ich zweifle nieht, daß sich mit viel Geduld alles vor dem Originale feststellen läßt; das wird meinen Text hier und da ändern, aber nicht den Sinn.

® DivrENBERGER sagt zwar, daß das Streitobjekt des folgenden Schiedsspruches, Karion und Dryussa, zur batinetischen Flur gehört hätten, allein das ist mit den An- gaben der Rhodier schlechthin unvereinbar. Dort haben die Samier Z.45 die Batinetis im Eingange ihrer Darlegung erwähnt, offenbar um durch jenen Erfolg ein Präjudiz zu schaffen, und Z. 102 verweisen sie auf diese früher ausgetragenen Händel. Die Prieneer berichten Z. 123 ebenfalls von dem Streite um die Batinetis vor Lysimachos (dessen Zeit hierdurch genauer bestimmt wird), aber nur um darzulegen, daß Samos damals auf das jetzige Streitobjekt keinen Anspruch erhob, sondern in dem Schreiben an Lysimachos sich des Ausdruckes bediente, TTPIHNEIC EXoNTI TÄN AYTÖN XWPAN, was eben dieses Streitobjekt einschloß, die Batinetis nicht.

® Inseript. in the British Museum III, cecer, ccecu, cccex; in der künftigen Ausgabe der Inschriften von Priene 14. 15. 16.

40 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 18. Januar 1906.

ol men oFn TTpınneic THM MEN Ez ApxÄc TErENHMENHN AYT[olc Kräcı|n TAc BATINHTIAOC xXWPAC ETIEAEIKNYON EK TE TON IcTorı®n [Kal TON ÄAnlawn MAPTYPIwN Kal aıkaıwmAtwm [me|tA TON E&zerön [crron|a@|n Ycrelpon A& crnwmonörovn AvyraAmewc Erieneöntoc em [tAn| "lw[ni-

15 AN META AY|nAmewc ToYc TE noImoYc Ernimein TUN x@PAn [Kal Clami- oYc EIC THAN n|Acon ATIOXWPÄCAI " TON A& ÄYTAAMIN KATACXÖNTA [- PR ETH AYTOIC m|Anın ATIOAIAÖNAI TÄC AYTÄC KTHCEIC, TOYC [ae TTPiH- neac Yrıoctperlaı" Camion A& OYeenA TIAPATENECBAI TIAPÄTIAN TÖ-

Te, TMAAN Ei TIc ETYrxanen TIAP’ AYTOIC TIAPOIKÖN' TOFTON A[E TON

20 ATPÖN TO rIrNöm|enon TIPOcenerKAceAl TTPIHNeFCıN Yrroc[TPEYAN-

TAC A& YCTEPON METÄ B:JAc CaAmiovc TIAPERECEAI TÄT XWPAN AYTOlN’ TTeMmoehnAı OYN TIAPA| TIpınneun BiAnTA TIEPI AlanYcewN TOIc Calmioıc TIPECBEYTÄN" TON] A& Alanscal TE TÄC möneıc Kal ToYc olk[o9nTlac A- roxwpAcaı TAc BartlınHTiaoc xWPpAac' TIPÖTEPOMm Men OYN E|oAcaN

25 TA TIPATMATA AYTOIC M|ENEIN EN TOYTOIC KAl MEXPI TO? ECXATOY XPÖ-

NOY KPATEIN TÄC xWPlac, NN ae Fizloyn HmAc Kata Tan E|z ArxAc [KTA- CIN ATIOAOYNAI AayYToic] TÄT XWPAN. Oi A& TIAP’ YMÜ@N ÄTIOCTANENTEC TPECBEIC THN KTÄCIN TAN TETENHMENHN AYTOIc TÄc BATINHTIAOC XWPAC EBACAN EK TIPOrÖnoN]| TTAPEINHBENAI" META AEC THN Ayraämleoc 30 EICBOAHN EFAITIEIN CYNWMmo|nöroYNn ÜCTTEP Kal Ol AoITol Kal AYTo|| THN XWPAN, ATIOXWPÄCAI A& eic] THN NÄCON, YCTEPON ale PEN - - - ollkejin xınloyc ......

11—I3 im wesentlichen ergänzt von Böck#, MeTA Hıcks, ganz sicher, obwohl sprachlich seltsam. 14 YcTepon WILHELM. 14—ı8 der Grund von Hıcxs ge- legt; es scheint wirklich eine Jährsumme genannt gewesen zu sein, denn ein anderes Objekt als KTHceic ist zu KATACXÖNTA nicht zu denken, da AYTolc notwendig ist und für den Satz enklitisch etwas haben muß, woran es sielı lehne. während KATACXöNTA stili- stisch einen Zusatz fordert. 15 gibt Hıcks AYT hinter x&Pan: das kann ich nicht sehen und glaube nicht daran. TIAPATIAN DrrVENBEBGER, der 20 erklärt und das We- sentliche ergänzt hat. 21 YTIOCTPAGENTAC AE TOYC EKTIECÖONTAC CAMioYC DritENBERGER, wo der Akkusativ Camiorc unerträglich ist, dazwischen lag auch eine lauge Zeit, und der Krieg war anzudeuten. 22. 23 im wesentlichen Böckn. oıikoyn gibt ÜHANDLER. 24 am Ende MmenocTic CHANDLER, sicher falsch. 27—31 Hıcks. Da- nach war von 1000 samischen Kleruchen die Rede, wie Mic#er gesehen hat; Ergän- zung wäre Spiel.

Für die Erklärung ist gleich noch etwas hinzuzunehmen, was Aristoteles in der Politie der Samier, also aus einer Chronik dieser Stadt, berichtet.‘ Danach haben die Samier und Prieneer lange Krieg geführt; die Prieneer haben in einer großen Schlacht 1000 Samier erschlagen, sind aber im siebenten Jahre danach von den Milesiern

! Aristoteles bei Zenobius VI ı2 und Plutarch Quaest. Graec. 20. Priene hat keinen Lokalschriftsteller gehabt.

a u EELTE

von Wıramowrrz- MOoELLENDoRFr: Panionion. 41

bei Drys aufs Haupt geschlagen. Bias ist als Gesandter nach Samos gegangen und hat sich große Anerkennung verdient. Die Milesier können nur Bundesgenossen der Samier gewesen sein: diese schreiben sich vor den Rhodiern selbst den Sieg zu. Die Ereignisse sind da- nach so verlaufen. Erst gab es eine &z Arxfc «TAcıc, über die beide Parteien verschiedenes angeben; das wird gestört durch die Invasion des Lygdamis. In dem hat Lexscuau' treffend den Führer der Kim- ınerier erkannt, der gegen die Mitte des 7. Jahrhunderts Magnesia zerstörte und den Tempel von Ephesos verbrannte.” Als der nach kurzem Aufenthalt abzog, trat rechtlich der alte Besitzstand ein, was die Prieneer etwas naiv so ausdrücken, daß der Barbar selbst die Eroberungen an die alten Besitzer zurückgegeben hätte. Aber da- mals sind noch keine Samier in das batinetische Land zurückgekommen, oder doch höchstens als rmAroıkoı, die es immer in Priene sehr viel gab. Danach erst kamen die Samier, und jener Krieg erfolgte, den Bias schlichtete. Indessen gehen die Prieneer über seinen Vertrag rasch hinweg, während sie in der Lage waren, die notwendig ihnen günstigen EzEreic cmonaai aufzuweisen, die nach dem großen Siege geschlossen waren, wie die Vergleichung mit Aristoteles lehrt. Die Samier wollen natürlich gleich zurückgekommen sein: ihre tausend Kleruchen sind identisch mit den tausend, die angeblich von Priene erschlagen wurden, d.h. als Kleruchen nicht mehr existierten. Damit haben die Samier ohne Zweifel recht behalten und gehabt, daß sie die batinetische Flur fortan besaßen; das muß auch von Bias zugestanden sein.

Die zweite Urkunde ist der Schiedsspruch der Rhodier” über einen Handel zwischen Priene und Samos, der sich auf das Kastell Karion und die Landschaft Dryussa bezieht, die offenbar nach jener Drys heißt, bei der die Entscheidungsschlacht zu den Zeiten des Bias ge- schlagen war. Über die Zeit des Spruches kann ich nur sagen, daß er vor das Eingreifen der Römer fallen muß, aber unter Antiochos Megas.‘ Wir erfahren hier über die Zeiten des Bias nicht wesentlich mehr, außer daß die Samier die damaligen Abmachungen vorzulegen imstande sind (wohl sicher aus den Historikern, nicht das alte Doku-

! In der sehr tüchtigen Dissertation De rebus Prienensium, Leipziger Studien XII, die viel über diese Dinge zusammengetragen und verarbeitet hat. Es ist aber immer notwendig, eine solche Untersuchung von Grund aus neu zu führen.

®2 Busorr, Gr. Gesch. II 463.

® Inseriptions in the British Museum III N. CCCCHI. In der Sammlung der In- schriften von Priene, die HırLer von GaERTRINGEN bearbeitet, wird es N. 37 sein. Ich lese die Korrektur und bin dadurch auf diese Entdeckung geführt, die vorgelegt sein muß, ehe die Geschichte Prienes geschrieben werden kann. Auf den Text aber gehe ich nur ein, soweit es unvermeidlich ist.

* Vgl. die Beilage ı.

42 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 18. Januar 1906.

ment selbst): damals ward die Grenze berichtigt oc YaArtwn Poal. Auch die Zeit dieser Abmachung scheint auf das Jahr bekannt gewesen zu sein." Aber die Hauptsache ist die Angabe über die Zeit, die von Lysimachos als die &z ArxAc Kräcıc bezeichnet war. Das ist vor diesem Schiedsgerichte genau dargelegt worden auf Grund alter Chroniken von Ephesos, Chios (hier nur 'Theopomp), Samos” und Milet.” Die Landverteilung ist erfolgt nach dem Menıaköc miönemoc durch das Koınön Ton "lonun, das die ganze Menıkk rA aufteilte. Damals haben die Prieneer Karion und Dryussa erhalten, die Samier Pygela; denn die Angabe des Maiandrios von Milet wird verworfen, .die im Widerspruch zu allen anderen Karion und Dryussa den Samiern zusprach. Bei Maiandrios stand noch etwas über den Besitz der Milesier, die etwas abtraten und Theben und Marathesion erhielten, und den der Kolo- phonier, die Anaia abtraten; mehr ist nicht erhalten und dieses auch mehrdeutig." Aber auch was sich erkennen läßt ist wahrlich merk-

! 2.124 heißt es nach einer Lücke, in der der Stephanephor Makareus von Priene mit Sicherheit ergänzt ist Ekrrecein men KarlioY ETH AlAK]öcıA Kal [- KONTA KATA- CXÖNTAC, KATENBEIN AE Ertl CTESANHEÖ]PoY AYkoyv, dc EcTi Armo MAKAPEwC TETAPTOC (nur die Zahl von mir eingesetzt, das andere von Hırzer geordnet). Das geht etwa von 300 rückwärts. ® Da gibt es drei ältere vor Duris, darunter EYAron. Da erhalten wir die echte Form des Namens, der überall sonst entstellt ist. Cerzamen Hom. et Hes. 1 eY.AION, wo r radiert sein wird, Photios nHic eyTalan, Suidas Aicwrioc EYreiton, Dionys de Thuc. 5 eyreon. Das sind keine zufällig zusammenstimmenden Fehler und bei Theognost. S.29, 3 schreibt Herodian EYrAion vor. Also ist eine einmalige alte Kor- ruptel anzunehmen, so daß r zu ı verlesen war und r als Korrektur dazu gesetzt, was aber an falscher Stelle eindrang. Das Certamen zeigt noch den Übergangszustand. Die Korruptel muß in einem maßgebenden alexandrinischen Buche erfolgt sein.

® Maiandrios wird hier verworfen, weil viele sein Buch für vevAerirpa®oc er- klären. Danach müßte ein echtes daneben bestanden haben oder doch er eine Person gewesen sein, auf deren Namen ınan gern fälschte. Beides ist mißlich. Maiandrios wird häufiger zitiert als irgend ein anderer Chronist von Milet, ohne jede Reserve. Übrigens ist die Beanstandung in dem Falle von Priene schlecht begründet: es würde nur anzunehmen sein, daß Maiandrios den Zustand seiner Zeit in die alte zurück warf. In der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts haben die Samier ohne Zweifel Karion, die Ephesier Pygela besessen. Es könnte seltsam scheinen, daß das Gericht kein anderes milesisches Werk zu Rate zog, auch nicht Hekataios; allein die Parteien waren beide den Milesiern abgeneigt, und das Gericht tagte in Ephesos. Mindestens auf einen Teil der Historiker hatten sich die Prieneer schon vor Lysimachos berufen.

* 54—59 schreibt HırLer Erte]aeikn[ron En TAlc MAlAnarlior ToY MinHclovY IcTo- [PlAIC KATAKE])XwPICMEnoN [AIÖTI Kal A] nomA xGPpa Ä MenıÄc [Yrd "IOn®N KoINo]Y AYTolc e[a6eH META TÖMm TIönemon TOM Melniakön, €’ @l nemelcen AYTÄC ...... TIAPÄ MEN MiaHcion Al-- Kal em? Tolle ayroic Ofsac [kai M]araeHcion, Kaeülc Kal TO "IÖNWN Kol- NJon YrIep AY|TOn Erpine] TTaniwnloic [EN cYanörwı] TIAPA AeE Konosonion "AnAlA. Daran ist sehr viel gefällig; aber rraPA kann nur von denen gesagt werden, die etwas ab- geben. Also hatten die Milesier das unbekannte Aı-, die Kolophonier Anaia, traten dies ab, und die Milesier erhielten dafür (AoeAnaı ae Toic AYToic oder ähnlich) Theben und Marathesion, die also nicht zur Melias gehörten, wie bei Theben selbstverständlich ist. Es bleibt auch so dabei, daß die MeaiAc zuerst unter die” lonec aufgeteilt worden ist.

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von Wıramowrrz-MoELLENDoORFF: Panionion. 43

würdig genug. Im 8. Jahrhundert hat nördlich von der Mykale, auf deren Vorbergen das »karische Kastell« noch jetzt zu sehen ist!, eine ionische Stadt gelegen, deren Gebiet noch Pygela°’, dicht bei dem da- maligen griechischen Ephesos oder Koressos, umfaßte. Sie hieß mit hellenischen Namen Melia, nach einer Esche, wie später eine ihrer Fluren Arvo?cca nach einer Eiche.” Für jene Zeit war das in der Tat ein gewaltiges Gebiet. Daher haben sich die Ionier zusammen- getan und Melia vernichtet, sein Gebiet aber unter sich aufgeteilt. Das ist geschehen vor dem großen Zuge der Treren, unbestimmt wie lange, also spätestens um 680: allzuweit darüber hinaus wird nicht leicht jemand gehen. Wenn auch keine authentischen Aufzeichnungen über die Verteilung mehr bestanden, so bildete sie doch dauernd (die rechtliche Grundlage für den Landbesitz der einzelnen Städte, und es ist merkwürdig genug, daß das ferne Kolophon einen Platz an dieser Küste hat. Natürlich mußte der Trerenzug starke Veränderungen her- vorrufen, die dann als solehe nicht notiert werden, weil man nur über die Besitzverhältnisse der unmittelbar darauf folgenden Zeit etwas sicheres wußte. So erklärt es sich, daß Magnesia und Ephesos, ob- wohl sie doch unmittelbare Nachbarn von Melia waren, bei der Ver- teilung leer ausgehen und in den späteren Händeln keine Rolle spielen: sie waren eben durch Lygdamis® ganz zu Boden geworfen. Eine Weile nachher beginnt Streit zwischen Priene und Samos, da dieses die Flur von Batinetos besetzt, die sehr ansehnlich gewesen sein muß, wenn sie tausend Kleruehen Raum gewährte. Eine Weile muß der Handel vor Schiedsgerichte gebracht sein’; dann kam es zum Kampfe, und als das Glück zuerst den Prieneern günstig war, verbanden sich die sonst so feindseligen Nachbarn Milet und Samos. Die Schlacht bei Drys warf die Prieneer nieder und Bias hat, wie weise er auch ver- mittelte, seiner Heimat die Flur von Batinetos sicher nicht gerettet,

! Eingetragen auf Karte I in SchrapEer-WırGanps Priene.

2 Vergl. die Karte in den Forschungen in Ephesos I und BEenxvorr 8.73. Unbe- dingt ausgeschlossen ist die früher angenommene Lage etwas mehr südlich nicht.

® Offenbar war Melia zuerst solch ein griechisches Dorf gewesen. Die alten Stadtnamen sind ausnahmslos karisch. Herakleia am Latmos muß eine Gründung des vierten Jahrhunderts sein, die den alten Namen der AArmiı, den die Tributlisten zeigen, verdrängte. Bezeichnend für unsere Unkenntnis, daß wir von der Gründung nichts wissen.

* Der Mann kann nieht wohl ein Trere gewesen sein, denn der Name ist karisch: da hat sich wohl ein unternehmender Dynast an die Spitze der führerlosen Barbaren gesetzt. Auch die Leute von Melia sind natürlich vielfach, vielleicht überwiegend, Karer gewesen.

5 Darauf‘ deuten die AIKAIGMATA, deren sich die Prieneer vor Lysimachos bedien- ten, und der Vers des Demodokos von Leros AN TYXHIC KPINDN AIKÄZEY THNTTPIHNE@N AIKHN, der mit Bias nichts zu tun hat, wenn er auch in seiner Biographie steht, Wir wissen nur gar nicht, wann Demodokos lebte,

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das andere schwerlich; aber Priene selbst blieb allerdings bestehen. Wann das war, können wir genau nicht sagen, denn das Leben des Bias haben nicht einmal die Alexandriner, so viel wir wissen, bestimmt. obwohl die alten ionischen Chroniken das Material boten, aber in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts werden wir ihn ansetzen dürfen.‘ Damit ist gesagt, daß hinter Priene in Wahrheit die Lyder standen, die sich schon unter Ardys in Besitz Prienes gesetzt hatten?: das erklärt die Feindschaft der Nachbarn, die nelımen, was noch zu erlangen ist, aber die daran verhindert werden, Priene das Schicksal Melias zu bereiten. Das ist ihm doch auf die Dauer nicht erspart geblieben. Unter Kyros ist es einmal vernichtet, und wenn es an dem Aufstande der Ionier teilnimmt und auch wie Myus ein Talent zum attischen Reiche noch 443 gezahlt hat, so führen doch 441 bereits die Samier und Milesier um Priene Krieg’, und es wird schwer- lich auch nur eine wirkliche Selbständigkeit und Konsistenz wieder erhalten haben‘, ehe Athen um die Mitte des 4. Jahrhunderts sich um seine Neugründung bemüht. Athen, damals Besitzerin von Samos, konnte auf dem Boden des Festlandes unmöglich den samischen Besitz gegen den König auch nur antreten: damals also gab es ihn lieber

! Den Ruhm der Bias begründen die Urteile seiner Nachbarn, der Ephesier Hipponax (der seine Weisheit als Richter rühmt) und Herakleitos (dem der Spruch ol rraeicToI KAkol nach dem Herzen war). In der Novelle von den Sieben Weisen scheint er zuerst den Ehrenplatz gehabt zu haben, so bei Phanodikos von Delos (der vor Theo- phrast schrieb, vgl. Plutarch Sol. 4 mit Diogenes 1, 83): die Weihung des Dreifußes in Theben sieht ursprünglicher aus als die in Delphi. Herodot ı, 170 gibt ein Apo- phthegma, das er 547 auf einer Sitzung in Panionion gegeben haben soll: es ist eine harte Zumutung, das als historisch beglaubigt anzunehmen. Ein anderes, 1, 25, führt ihn am Hofe des Kroisos ein, wird aber auch dem Pittakos beigelegt. Ganz wertlos ist ein Strategem gegen Alyattes, das als autorloses neretal bei Diogenes steht: es braucht nicht aus Hermippos zu sein. Den Namen des Vaters lieferte Heraklit; weil er karisch ist, konnte Duris den Bias zu einem rrAPoIıKkoc machen, was aber auch der Wahrheit entsprochen haben kann. Höchst seltsam ist, daß am Schlusse der Diogenes- vita gesagt wird, das Temenoc, das Priene dem Bias weihte, hätte TeYTAmeion ge- heißen, denn die Steine kennen nur BiAnTeion; das war wohl das schöne Rathaus der Stadt. Das ists, was wir vom weisen Bias außer der Vermittelung in Samos wissen. Ich sehe kein Mittel, seine Zeit zu bestimmen. Hätte Hermippos die samische Chronik aufgeschlagen, so würden wir sie wissen.

2 Herodot 1, ı5 aus milesischer Überlieferung; solchen knappen Angaben traue ich.

3 Herodot ı, 161. 6,8. IG.1I 237 (238 wird er nicht mehr gestanden haben); 37 in der Schätzungsliste ist der Name mit Wahrscheinlichkeit ergänzt, aber das besagt wenig; in den Schätzungslisten der Perser wird Priene auch gestanden haben). Thukyd. r, 115.

* Als ein Ort des Mäanderdeltas nennt es Xenophon Hell. Ill 2, 17. IV 8, 17. Aber da steht neben ilın Axianeion, ein milesisches Dorf, wie sielı aus der Quelle Axınnela en MinHto ergibt, die Aristobul (also bei Alexanders Belagerung) erwähnte: Athen. 43d. Achill hat da den Lelegerkönig TPAmsHnoc erschlagen, der nach Lyko- phron 427 mit Scholien, die aus Istros schöpfen, ein Soln des Telamon von einer Troerin ist.

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einer neugegründeten hellenischen Stadt als den vertriebenen Samiern, die ihre Ansprüche aufnehmen, sobald sie die athenische Kleruchie los sind. Von diesen Zeiten reden bezeichnenderweise beide Teile kein Wort, weder vor Lysimachos noch vor den Rhodiern.

Doch auf die älteste Zeit will ich eigentlich auch hinaus. Gegen Melia, die dreizehnte Stadt des von Ion gestifteten Bundes, schreiten die anderen zwölf ein, weil es übermütig geworden ist, so Vitruv. Auch bei Maiandrios verfügt der Bund der Ionier über die melische Mark. So finden wir um 700 diese Körperschaft politisch tätig, ganz wie im sechsten bei Herodot, und wie damals tagt sie an dem Pan- ionion. Nun liegt dieses aber wenig nördlich von der Mykale bei dem Griechendorfe Tschangly, wie schon LEAKE daraus geschlossen hat, daß dort ein Beschluß der Ionier gefunden ist. Übrigens ge- nügen auch die Küstenbeschreibungen vollkommen zu seiner Fixierung. ' Damit ist gesagt, daß das Panionion im Gebiete von Melia lag, und wer an die Stiftung des Bundes der Ionier in der Urzeit glaubt, mag sich ausdenken, daß Melia sich an dem Heiligtume vergriffen hätte und durch einen heiligen Krieg zerstört wäre wie später Krisa und Kirrha. Wer unbeirrt durch solche Konstruktionen über die Zeit, von der es ein wirkliches Wissen nicht gegeben hat, den melischen Krieg überdenkt, wird ganz anders urteilen. Wenn eine hellenische Stadt zerstört wird, bleiben doch ihre Heiligtümer, und es muß Vorkeh- rung getroffen werden, daß die Götter zu ihrem Rechte kommen. Wenn ein Bund die Feldmark eines Feindes aufteilt, so liegt es in dem neuen Rechtsverhältnis, daß er als Nachfolger der vernichteten Gemeinde ihren Gottesdienst übernimmt. So ist hier die Pflege des Poseidon Helikonios auf Priene übergegangen, aber sein Fest ist das aller Ionier, d.h. des Bundes geworden, der Melia zerstörte und eben durch dieses gemeinsame Heiligtum ein Zentrum gewann. Die drohende

! Ich setze Strabons Worte XIV 639 her, weil sich da etwas Spaßhaftes zu- getragen hat. Er bezeichnet die Küste von der Mykale nordwärts als die TIAPANIA TÖN "Evecion, MEPOC A& TI Exoycin AYTÄc Kal ol CAmiol. TIPÖTON A’ ECTIN EN TÄI TIAPANIAI TTanı@nıon -- eita NeArtonic, H TIPÖTEPON MEN AN ’Evecion, NYN Ac CAMmioN AIANNAEA- MENDON TIPöOC TO MaAPABHcIoN, TO ErryTerw TIPöc TO ÄTIWTEPW. EitA TIYrena. Dieses Neapel steht auf den Karten, auch auf dem Plan in WıEGAND-SCHRADERS Priene; die Numismatiker weisen ihm Münzen zu (Heap, Doctr. num. 506, aus dem 3. Jahr- hundert n. Chr. mit dem Beinamen Aurelia) und die Periegeten Ruinen. Wirklich scheint sich niemand gewundert zu haben, wo es in den anderen Küstenbeschreibungen steckte, und wie Strabon den Hauptsitz der Samier übergehen konnte, der noch heute seinen Namen bewahrt hat. Und doch hat das alles nur der Byzantiner verschuldet der die Wortabteilung im Strabontexte eingeführt hat. eımaneamonic mußte er EIT “AnAIA TIönıc abteilen. Daß die Inschrift von Anaia, Magnesia 44, nicht magnetisch sein kann, spreche ich nun ganz zuversichtlich aus (Sitzungsber. 1904, 927): sie kann wohl nur samisch sein.

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Lydergefahr legte es den loniern nahe, die Bundesgenossenschaft, die sie zu einem bestimmten Zwecke mit bestem Erfolge geschlossen hatten, zu einer dauernden Institution zu machen. Mit anderen Worten: der Bund und die Panionien sind um 700 erst gestiftet worden, aber da der Bundesgott der von Melia war, mußte dieses freilich als ein ehemaliges Bundesglied betrachtet werden.'

Dieser Gott, der Poseidon vom Helikon, wie Aristarch erklärt und die Grammatik allein erträgt, kann an der Mykale nicht befremden, die ihren Namen mit dem böotischen Mykalessos teilt, und an der auch ein Theben liegt. Die inschriftlichen Zeugnisse über den Kult in den ionischen Städten könnten für Filialen des nun panionischen Kultes gelten;* aber Auswanderer aus der Landschaft, die ihren Haupt- gott auf dem Helikon verehrte,® saßen auch anderswo, und die ho- merische Stelle, die den Kult des Helikoniers, aber weder die Mykale noch die Ionier erwähnt, bezeugt seine allgemeine Verbreitung.‘

Die Annahme, daß der Bund der Ionier erst um oder nach 700 gestiftet ist, streitet mit der herkömmlichen Vorstellung von der ionischen Wanderung als einer einmaligen großen Aktion. Darauf will ich sonst nicht eingehen, sondern beschränke mich auf das Panionion. Das ist freilich nach der parischen Chronik oder besser ihrer attischen Quelle wirklich bei jenem Zuge des Neleus 1086/5 v. Chr. gestiftet,’ und ich

! Ein weiterer Schluß ist, daß das Panionion in oder bei Melia gelegen haben wird: wir haben also die Chance, die Reste einer ionischen Niederlassung des 8. Jahr- hunderts zu finden, die seitdem unbewohnt war. Denn wer Stephanos von Byzanz und zumal die Epitome kennt, in der wir ihn haben, den beirrt ein Ausdruck wie TTANIGNION, TEMENOC KAI TIöNIC wenig, und er wird selbst der Ableitung 6 moAiTHe TTanı@nioc nicht trauen, obwohl natürlich ein paar Leute bei dem Heiligtum gewohnt haben müssen. Aber bei den Grammatikern ist mmöAic oft nur Ortschaft, und Derivate erfinden sie gern. TTanıonioc als Eigenname, geboren an den Panionia, in Chios, Herodot 8, 105.

®2 Belege bei Busorr, Gr. Gesch.], 318, PrerLLer-Roserr 579. Bemerkenswert ist der Kult in Sinope, DrrrengErGer, Syll. 603.

® # BolwTıa OAH lepA TTocelaßnoc sagt Aristarch mit Recht in dem wichtigen Artikel Kynric des Et. M. = Schol. B* zu 422. So nennt denn auch der Poseidonhymnos Homers (22) neben Aigai, das auch das N kennt, den Helikon.

* Homer Y 404. Die Scholien BT beziehen das Opfer an den Helikonios auf Neleus und Milet; wenn die schlechtere Fassung AD Milet und Karien nennt, so scheint darin etwas Ursprüngliches bewahrt, und gemeint werden wirklich die Panionien sein, wie im Marmor Parium. Die Subskription # icroPla TTAPA Kaeıtisönrtı ist unverständlich und nutzlos. Das Y ist freilich sehr jung, aber sein geographischer Horizont weist auf Ent- stehung in der ionisierten Äolis. Aber gerade die Äoler sind mit Böotien so nah ver- bunden wie die lonier.

° Epoche 27. Die Parallelen, die Jacopy S.gı verzeichnet und ordnet, erwähnen die Stiftung der Panionien nicht; wir können nicht ohne weiteres annehmen, daß Pherekydes und Hellanikos sie hatten, denn zu ihrer Zeit bestanden sie nicht, während der Parier schreibt, als sie gerade neubelebt sind,

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zweitle gar nicht daran, daß die damaligen Ionier das geglaubt haben, wenn sie zum Panionion zogen, und daß Eratosthenes selbst daran geglaubt hat, dem der Helikonios von Helike kam. Das verpflichtet uns aber nicht, diesen Glauben zu teilen, aber wohl, seine Entstehung zu erklären. Bei Herodot finden wir die Ratsversammlung der Ionier am Panionion, sowohl als die Perser zuerst nach dem Falle von Sardes drohen, wie vor der Schlacht bei Lade (1, 141. 147. 170. 6,7); es ist also ein politischer Bund, sakral tritt er nicht hervor. Wenn man sich erzählt, der weise Thales hätte geraten, das Zentrum nach Teos zu verlegen, der weise Bias gar, obwohl er aus der Stadt stammt, die den Kult am Panionion versieht, man sollte gemeinsam auswandern, so sind das an sich Sprüche, deren Glaubwürdigkeit so beurteilt werden muß, wie die Sprüche der Weisen überhaupt. Man soll nicht sagen, sie wären von diesen Männern, gar bei diesen Gelegenheiten, gefallen; aber sie geben das wieder, was die Menge den gescheitesten Leuten zutraute, weil sie die Wahrheit erst begriffen hatte, als es zu spät war. Eins aber lehren diese Sprüche: auf die Heiligkeit des Orts kam es nicht an, sondern auf die Zweckmäßigkeit des politischen Bundes. Man denke sich so etwas den delphischen Amphiktyonen proponiert. Das stimmt aber vorzüglich, wenn der Bund von vornherein ein politisches Gebilde gewesen war. Gegen Melia hatte er standge- halten; gegen die Lyder und Perser versagte er. Aber das hat er doch erreicht, daß der Begriff der Ionier, sogar aller Ionier, in einem engeren Sinne an den zwölf Städten haften geblieben ist; eben daher hat er sich selbst in die Urzeit projiziert.

Gerade gegen den Anspruch, daß die zwölf Städte alle Ionier repräsentierten, hat Herodot einen wichtigen Exkurs gerichtet, den wir scharf ansehen müssen, und bei seiner umständlichen Art den ganzen Gedankenzusammenhang verfolgen." ı, 141 erzählt er, daß die Ionier sich nach der Eroberung von Sardes am Panionion versammeln. 142 bestimmt er die “Iwnec TON TO TIANIONIön Ecrin als die zwölf Städte und gibt an, daß diese vier verschiedene Dialekte sprechen. 143 kommen wir einen Schritt weiter in der Erzählung; außer Milet lösen sich auch Samos und Chios von dem Bunde. Der nächste Schritt geschieht erst 152, nachdem 149— 152 auch die Äolische Zwölfstadt abgehandelt ist; 144, über die dorische Hexapolis, ist eine weitere Einlage. He- rodot will offenbar eine besondere Bosheit vorbringen, wenn er sagt, daß allein diese lonier der zwölf Städte sich des Ioniernamens nicht geschämt hätten, was doch selbst Athen, die einzige ansehnliche Io-

! Selbstverständlich habe ich E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte I und E. Scuwarız, Quaestiones Ionicae, von neuem nachgelesen; aber nicht mit ihnen will ich mich auseinandersetzen, sondern mit Herodot.

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Sitzungsberichte 1906.

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nierstadt getan hätte.' Daher hätten sie sich das Panionion gebaut und niemand als Smyrna in den Bund aufgenommen, was übrigens auch niemand weiter verlangte. Dann gibt er als eigene Vermutung, daß sie die Zwölfzahl gewählt hätten, weil sie früher im Peloponnes auch zwölf Städte gehabt hätten. Das wird daraus erschlossen, daß die Achäer, die sie vertrieben hatten, jetzt auch zwölf haben. Übrigens wären die Ionier keineswegs eine reine Rasse, sondern vermischt mit einer ganzen Anzahl anderer Stämme, die namentlich aufgezählt werden.” Und die auf besondere Vornehmheit Anspruch machenden Milesier, die von dem Prytaneion Athens ausgegangen sein wollten, hätten mütter- licherseits durchaus karisches Blut. Und die Könige dieser lonier wären Lykier oder Kaukonen, diese von Kodros her. »Aber wenn sie denn auf den Namen so besonderen Wert legen, so mögen sie die echtbürtigen Ionier sein. eici a& rrAntec "Iwnec Öcoı Art AeHnewn rerönacı Kal ATIATOYPIA ÄroyYcın ÖPTHN’ ÄroYcı A& TIÄNTEC TIAHN "Eseciwn kai Konoewnion, und die haben sie früher auch gehabt.« In den aus- geschriebenen Worten muß stehen, wer denn nun außer den zwölf Städten ionisch ist. Dafür sind die Kriterien Abstammung von Athen und Feier der Apaturien, die Herodot offenbar nicht von ArıATH, son- dern richtig von dem gemeinsamen Vater ableitet. Das muß wohl Ion der Athener sein, der sich in Achaia ein Reich gegründet hat. Wer also Apaturien feiert, der bekennt damit seine Herkunft von Athen implieite. Daß dann beiläufig, ohne die Bosheit, die darin liegt, zu verraten, bemerkt wird, die einzigen scheinbaren Ausnahmen wären zwei der zwölf Städte, macht für den Hauptgedanken nichts aus. Daß Aroycı a& rrAntec in einer Weise, die zuerst mißverständlich ist, an eich a& rrÄntec "Iunec anklingt, ist stilistisches Ungeschick, denn in dem zweiten riäntec steckt rrAntec ol Er’ Aohunewn. Gewiß würden wir gern eine Aufzählung der übrigen Ionier hören, aber die gibt er nicht, da er nur sagen will: »mit ihren Gründen für den Anspruch auf besonders vornehmes Ionierblut kommen die zwölf Städte nicht dureh; was sie zu Ioniern macht, kommt allen andern, die sie als minderwertig ansehen, auch zu; übrigens ist der Name keine große Ehre«. Gedacht hat er natürlich außer an Athen an die Inseln, Euboia

! Das Urteil ist vom Standpunkte seiner Gegenwart aus gefällt und vergißt daher selbst Chalkis und Eretria.. Es ist aber bemerkenswert, daß die Kolonien Euboias sowohl in Thrakien wie im Westen wirklich von dem Ioniernamen keinen Gebrauch machen.

2 Dieser Tendenz dient auch sicher die mit übertriebener Schärfe hervorgehobene Unterscheidung von vier Mundarten. Der Halikarnassier, der selbst Ionisch spricht und schreibt, erkennt die ionische, d, h. milesische Schriftsprache nicht als das normale lonisch an.

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an der Spitze, und die ferneren Kolonien.‘ Endlich gibt er die Lage des Panionion an, von dem er ausgegangen war. Es ist ein x@roc KoInhı &zapaıpHmenoc Yrıö "Iunwn Tloceıacwnı "Erikwniwi...., ÄTECKON ÖPTHN TAı oYnoma &sento TTanıonıa. Also Herodot läßt die zwölf Städte das Heiligtum und das Fest stiften, indem sie sich von den anderen loniern absondern. Unmöglich kann er angenommen haben, das wäre gleich bei der Gründung der Städte geschehen, in denen so sehr viele an- dere Stämme neben den Ioniern wohnten. Er redet ja auch nirgend von einer einmaligen Einwanderung. Eine Zeitangabe macht er nicht; aber mit der Gründung nach dem Fall von Melia ist alles sehr wohl vereinbar. Herodot stammt aus einer karischen Stadt, die dorische Besiedelung erfahren, aber das dorische Wesen zugunsten des ionischen abgelegt hatte. Seine genaue Kenntnis von Samos und dessen alter Tradition läßt schließen, daß er die Hera nieht ohne besonderen An- laß im Namen trägt. Aber im Herzen ist er Athener, daher erkennt er diese Mutterstadt rückhaltlos an; aber von Athen stammen alle Ionier in der Weise, wie das Psephisma des Thudippos (IG.137) alle rmöneıc zur Teilnahme an den Panathenäen verpflichtet. Eben daher muß die Anmaßung der asiatischen zwölf Städte bekämpft werden, die den Namen der Ionier für sich in Beschlag nehmen und ihr Fest TTanıonıa nennen. Es ist ganz in der Ordnung, daß es nicht mehr be- steht, wenn Panathenäen begangen werden, die mit besserem Rechte Panionien heißen könnten.

Die Panionien bestanden zu Herodots Zeit nicht mehr; es war natürlich, daß Persien einen Bund auflöste, der bei Lade gegen sie gekämpft hatte. Wo Thukydides von dem Feste aller Ionier in Delos redet, vergleicht er sie nicht mit den Panionien, sondern mit den "Eoeceia. Athens Politik hatte von vornherein eine große Anzahl kleiner Orte Ioniens selbständig gemacht, so daß von einer Vertretung loniens durch die zwölf Städte keine Rede sein konnte. Um so merkwürdiger klingt es jetzt, wenn zur Zeit des Agesilaos der Milesier Timotheos wieder von den zwölf Städten redet, aber mit Verleugnung des lonier- namens und Hervorhebung der Abstammung aus Achaia. Es war ganz falsch, daß ich seine Perser an den Panionien aufgeführt dachte: an denen hat es niemals irgendwelche Spiele gegeben, und zur Zeit des

! Vielleicht auch an Kynuria; aber ob dort Apaturien gefeiert wurden, und ob er das wußte?

2 Thukyd. 3, 104. ’Eveceia ist die richtige Form, DirrengerGer Orient. 10, bei Thukydides herzustellen. Steph. Byz. ”Evecoc Td Eonıkön 'Esecioc, EYPHTAI Kal 'Eoe- ceıa rIAPA Covoknei En AnezAnapoı. Man akzentuiert so, nieht "Evecela; darauf ist kein Verlaß. Das Fest galt doch wohl der *Evecih und hat zuerst ‘Eoecieia, Evecıfia geheißen. Die ’Eoeceia als Nationalfest der lonier setzt Dionys von Halikarnaß IV 25 in die Ur- zeit: so wenig wußte man zu seiner Zeit von dem Panionion.

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Timotheos wurden sie überhaupt nicht gefeiert.‘ Aber kurz vor der Schlacht von Leuktra, als die kurze Herrschaft Spartas längst vorbei war und Athen den neuen Seebund gestiftet hatte, der sich von dem Festland ängstlich fernhalten mußte, hat man an eine Erneuerung ge- dacht. Ephoros berichtet darüber bei Diodor 15, 49 und erhält Be- stätigung durch Herakleides bei Strabon 354. Er redet nur von neun ionischen Städten,’ die früher dem Poseidon Helikonios in der Gegend der Mykale an einer verlassenen Stätte, en &rimoı TönwI, ge- opfert hätten; jetzt hätten sie beabsichtigt dem Gotte in der Gegend von Ephesos ein neues Heiligtum zu bauen und dazu in Helike die Aelapvcıc des dortigen Poseidon nachgesucht. Man glaubte also an den Poseidon von Helike, nicht vom Helikon, und an die Abkunft der Ionier aus Achaia; von Priene, das damals schwerlich bestand, ist keine Rede mehr. Zu dieser Neugründung ist es nicht gekommen; dagegen erstand um die Mitte des Jahrhunderts das alte Panionion zugleich mit Neupriene, dem der Kult des Poseidon wieder zufiel. Wohl schon vor Alexander ist der einzige Beschluß der Ionier gefaßt, der am Panionion gefunden ist, bezeichnenderweise von dem winzigen Lebedos in einer heiligen Sache erwirkt.” Erst das Erscheinen Ale- xanders belebt, wie überhaupt die alten Verbände, so den der lonier, die übrigens auch den Kult des Königs, aber auf der Mimashalbinsel, nicht an der Mykale, von Bundes wegen einrichten.“ Lysimachos, der Smyrna wieder als die dreizehnte Ionierstadt gründet, und andere Könige rechnen mit dem Bunde, der aber nicht den geringsten po- litischen Wert hat.” Der Kult des Poseidon ist rein prienisch; auch er hat keine Bedeutung; auch die Ehre der citucıc En TTanıwonioı ver-

! Tu. Wıesann hat mir meinen Irrtum sofort nachgewiesen und die Aufführung der Perser richtig nach Milet verlegt. Der Schluß gestattet das: MinHToc A& TMIÖNIc NIN Ä @PEYAC’ Ä AYWAEKATEIXEOC AAOY TIPWTEOC EE AxAlßn. Ann’ "EKATABÖNnE TIYel ÄTNAN €neoIc TÄNAE TIÖNIN CYN ÖABOI, TIEMTI@N ATIHMONI AABI TBIA” EIPHNAN. Milet ist Kae TIönic, der AYwAekATeIXxHc ist der Öae nAöc. Der Zusammenhang ist eng und gut. Aber eins muß ich meinen Kritikern zugeben: rıwreoc ist nicht zu halten; gefordert wird der Sinn, den ich mit unzulässigem Künsteln abwies, TIPwTeYoYca. Aber die Emendation ist noch nicht gefunden, und das Versmaß gibt keine Handhabe. Vielleicht gehört noch ex zu dem verdorbenen Nominativ.

® Das ist sehr merkwürdig: so wenig Gewicht legten die neun, die sich damals zusammenfanden, der alten Zwölfzahl bei. Ich verzichte darauf, die zwei zu suchen, die außer Priene fehlten.

®° CIG. 2909 Bec#rer, Ion. Inschr. 5588. Die Sprache ist noch überwiegend ionisch.

* Strabon 644. Den Kult erwähnt der Bundesbeschluß für Antiochos 1., Bull. de corr. Hell. IX 389; die Feier der Alexandreia wechselte zwischen den Städten. An- tiochos selbst sollte sich den Ort wählen, wo er ein Heiligtum erhalten sollte.

° Die sehr bekannten Urkunden sind außer dem eben erwähnten Beschluß für Antiochos der Beschluß für Hippostratos, Mitt. Ah. XXV 102, und der Erlaß des Lysi- wachos über die Sympolitie von Lebedos und Teos, Drrr. Syll. 177:

von Wıramowrrz - MOELLENDORFF: Panionion. Dil

gibt Priene ganz von sich. Mit seinem Niedergange kommt auch das Panionion herunter; die Sitzungen werden gar nicht mehr immer dort gehalten, sondern in den Bundesstädten', die auch nicht alle mehr bestanden; Myus z. B. ging erst in Magnesia, das nie zutrat, dann in Milet auf. In dem schlimmen ı. Jahrhundert v. Chr. wird die Feier wohl manches Mal unterblieben sein. Aber in der Kaiserzeit gehört sie natürlich zu den archaistischen Spielereien; man prägt sogar Bundes- münzen’, aber an die Mykale geht man nicht mehr, sondern wechselt zwischen den Mitgliedern; noch Philostratos erzählt von einer Feier in Phokaia unter Severus.” Das Ende wird, wie überhaupt dem Leben Ioniens, die Gotenzeit gebracht haben.

Dies die Geschichte des Panionions und der Panionien. Sie be- stätigt, daß die Religion diesen Bund nicht zusammengebracht hat, weder die des Gottes, noch die des Ortes. Der Apollon von Delos zeigt, wie es sich sonst gestaltet haben würde: der wendet sich auch wirklich an alle Ionier, während bei den zwölf Städten dieser Name eine Anmaßung ist, die den Herodot wohl ärgern konnte. So ist der Bund denn vielmehr die politische Vereinigung der Ionier an der Küste gewesen und hat sich erstreckt, soweit die gemeinsame Gefahr das Gemeingefühl erzeugte; daher ist jede Stadt ionisch, die eintritt, wenn sie auch ihr Blut so wenig berechtigt wie Chios und Erythrai, und die draußen blieben, wie Iasos, Bargylia, Magnesia‘, gelten auch nicht für ionisch, obwohl ihre Sprache dem Milesischen ähnlicher gewesen sein wird als das Chiische. Aber der Numerus elausus der zwölf Städte

! DirTENBERGER Orient. 763. Der Bund hat seinem Landesherrn Eumenes die Ehren auf einer Sitzung in Milet beschlossen, und dort will auch der König sein Standbild haben.

?2 Heap, Hist. num. 490. Die Inschrift TTanı@nıa TTYeıa deutet darauf, daß das Fest überhaupt gar kein Poseidonfest mehr zu sein brauchte.

® Philostrat. vit. soph. II xe. Im Apolloniosroman IV 5 ist die Feier in Smyrna. Beide Male redet er von einem TTAnı@nIoc KPATHP. Entweder der Sophist oder gar die damaligen Ionier haben da einen argen archaistischen Schnitzer gemacht. Sie kannten den TIANIGNIOC KPATHP aus Hypereides oder besser aus den Lexica, wo wir ihn finden (Athen. X 424e), und ließen unbeachtet, daß er die Panionien der zwölf Städte gar nichts anging, sondern die viel ältere und heiligere Feier von Delos, die schon Homer besungen hatte. Dort war der von Hypereides erwähnte Mischkrug noch jahrhunderte- lang erhalten; eben hat ihn Wiraerat in den delischen Inventaren aufgezeigt. Mitteil. Athen. XXX 219.

* Ohne Zweifel heißen die Magneten nach demselben Stamme, der noch auf dem Pelion sitzt; aber darum konnten sie so gut zu Vollblutioniern werden wie die zwölf Städte, denen Herodot vorhält, daß Dryper, Molosser und andere Stämme in ihnen säßen, die den Ioniern nicht näher stehen als die Magneten. In Sprache und Sitte ist Magnesia gewiß zur Lyderzeit schon von den Nachbarn Ephesos und Milet nicht wesentlich verschieden gewesen. Daß es nie als ionisch gegolten hat, erklärt sich allein durch seine Zerstörung durch die Treren, beweist aber auch, wann die zwölf Städte sich als alle Ionier zusammengeschlossen haben.

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ist doch einmal als eine heilige Zahl fixiert und nicht vom Zufall ge- bildet. Gewiß; aber das ist dann geschehen, als nach dem Siege über Melia oder besser, nachdem der Kimmeriersturm vorüber war und die Lydergefahr drohend ward, der erste Bund sich zu einem panionischen auswuchs. die cvmmaxia zu einem koınön. Damals hat man nicht jedem Örtchen, das auf Selbständigkeit Anspruch machte und sie später von Athen zugestanden erhielt, eine Vertretung in der "lonwn BovyaH zuge- standen, sondern die heilige Zahl genommen. Und doch hat man sie bald überschritten, als Smyrna die dreizehnte Stadt ward. Das Datum der antiken Chronologie für die Eroberung des äolischen Smyrna durch die Kolophonier ist verloren, hat aber vor 700 gelegen'; indessen wird dadurch der panionische Bund nicht in noch höhere Zeit ge- rückt, da ein äolischer Ort, den vertriebene Kolophonier erobert hat- ten, der also der mächtigen Nachbarstadt Kolophon” zunächst feind- selig war, wer weiß wie lange bestehen konnte, ehe er in den ioni- schen Bund eintreten mochte und durfte. Mit der Konstituierung der Zwölfzahl um 650 ist das ganz wohl vereinbar. Niemand sagt uns, wie lang oder kurz Smyrna vor seinem Untergange durch Alyattes Mitglied gewesen ist.

Phokaia und Klazomenai sind in Wahrheit Kolonien von Teos und Kolophon; daran läßt eine genauere Prüfung der Überlieferung keinen Zweifel, die namentlich über Phokaia reichlicher und daher durchsich- tiger ist. Aber sie werden zur Zeit des Krieges gegen Melia längst selbständig gewesen sein.’

Das wichtigste Zeugnis für das allmähliche Zusammenwachsen des ionischen Bundes liefert Ion von Chios; das ist gleich alt wie Hero- dot und wiegt nicht leichter. Er gibt die Geschichte seiner Heimat so. Chios wird durch Kreter unter Oinopion besiedelt; gleichzeitig kommen Karer und Abanten. Später kommt Amphiklos aus Histiaia und wird König. Sein vierter Nachfolger Hektor verjagt die Karer

! Der Sieger im Faustkampf der 23.Olympiade (688) war Onomastos von Smyrna. Dieser Angabe, die auch Africanus hat, fügt Pausanias V 8, 7 hinzu, Smyrna wäre damals bereits ionisch gewesen. Seine Chronik wird ein festes Datum gegeben haben; Eusebius hat es leider nicht erhalten. Dass die Aufnahme Smyrnas unter die lonier xPpönwı Ycreron erfolgt wäre, sagt Pausanias ausdrücklich VI 5, r. Die Homer- legende kannte nur das äolische Smyrna, was über ihr Alter entscheidet.

2 Kolophon soll nach dem Untergange von Smyrna seine Stimme übernommen haben. Das darf man mindestens als Tradition der törichten Erklärung von TÖN Ko- AOÖNA Ermtisenaı entnehmen, die Lucius von Tarrha ungewiß woher erhalten hat (Schol. Plat. Theaetet 1535, stand bei Zenobius Ath. 1. App. prov. Il ı5, Diogenian VII 36). Kolophon ist nach Herodot 1, 15 schon von Gyges erobert noch vor dem kimmerischen Einfall. Das kann nicht viel bedeutet haben; aber als Alyattes gegen Klazomenai vorgeht, muß er Kolophons ganz Herr sein.

3 Vgl. Beilage 2.

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von Wıramowırz-MOoELLENDORFF: Panionion. 53

und Abanten (so daß also die Kreter allein bleiben), und als er Frie- den hat, &sık&cea THNIKAYTA EKToPpı Ec MNÄMHN WC coAc Kal "Iwcı Acoı cYneYein €c TTAnı@nıon‘ TPITTOAA A& ABAON AABEIN AYTON ETT” ÄNAPATABIAI mAPÄ TO? KoINo? eHcı TON lonwn.' Pausanias, dem wir dies wichtige Exzerpt verdanken, wundert sich darüber, daß Ion gar nichts davon gesagt hat, wieso die Chier zu den loniern gehörten, und in der Tat, dieser treue Anhänger Athens, der den Ioniernamen selbst führte, hat von der ionischen Wanderung mindestens für seine Heimat nichts gewußt und keine Besiedelung von Athen aus zugegeben.” Dagegen setzt er voraus, daß der Bund des Panionion bereits bestand, ehe Chios zutrat, und als Beleg kann er einen Dreifuß anführen, der die Ehrung des Königs ausspricht, unter dem Chios zugetreten ist, doch wohl wegen dieses Zutritts. Gibt es irgendeinen Grund, die Existenz dieses Dreifußes und dieser Inschrift zu bezweifeln, deren Fassung wir freilich nur in der Paraphrase des Pausanias kennen? Im Gegenteil; eben dieses alte Ehrendenkmal hat die Tatsache im Gedächtnis er- halten. Dann war das aber nicht in grauer Urzeit geschehen, sondern im 7. Jahrhundert: höher wird ein Besonnener mit einer solchen In- schrift nicht hinaufgehen.” Aber Hektor ist auch der vierte nach Am- phiklos, dem ersten Könige, mit dem die beglaubigte kontinuierliche Reihe begann: daß der um die Mitte des 8. Jahrhunderts fällt, ist wahrlich nicht zu spät. Durch einen glücklichen Zufall wissen wir von »den Tyrannen Amphiklos und Polyteknos von Chios«° aus der Lokalgeschiehte von Erythrai. Sie sind beteiligt bei einer dortigen Revolution, der König Knopos zum Opfer fällt. Die ganze Erzählung trägt mit nichten den Charakter der Urzeit, sondern ist mit den Far- ben ausgemalt, die für die Zeiten des Überganges von dem Königtum zu der tpyeh der Aristokratie üblich sind. Nur daß Knopos bei Pau-

! Pausanias VIl 4, S—ıo. Die Inschrift mit dem vulgären ÄNAPATABIA, das erst im 4. Jahrhundert aus der Formel öTI An#P Arasöc Ecti gebildet ist, bewahrt doch das alte Äenon, wenn das nicht Archaismus des Pausanias ist.

? Der einzige Zusammenhang mit Athen ist, daß Oinopion Sohn der Ariadne von Theseus ist. Ion bei Plutarch Thes. 20. Gerade das ist sekundär: Oinormon sagt es selbst, daß er zu Dionysos gehört.

3 Allerdings hat F. Dümuter den Hektor von Chios ohne weiteres für den ho- merischen oder vielmehr vorhomerischen Hektor erklärt (zuerst in Srupnıczkas Kyrene), und diese Offenbarung hat Gläubige gefunden; es geht jetzt so weit, ‘daß Andromache in dem phthiotischen Theben zu Hause sein soll, also bei Achill. Ich habe mir in anderem Zusammenhange die vielleicht überflüssige Mühe gegeben, die unverantwort- lich flüchtige Arbeit Dümnters zu widerlegen. Das gehört hier nicht her. Es genügt auch, daß er sich die Inschrift des Hektor von Chios gar nicht überlegt hat.

* Hippias von Erythrai im zweiten Buche, also nicht bei den Anfängen, Athen. VI 259. Ihm ist Amphiklos Tyrann; das stimmt dazu, daß er bei Ion das Geschlecht des Oinopion in der Herrschaft ablöst.

54 Sitzung der philosophisch - historischen Classe vom 18. Januar 1906.

sanias und Strabon Gründer von Erythrai und Kodrossohn ist, ver- schiebt denjenigen das Bild, die von den Kodriden ausgehen, statt anzuerkennen, daß die ältesten Könige, von denen die Ionier wirklich wußten, und die natürlich nicht in das 2. Jahrtausend gehörten und auch nicht alle in dieselbe Zeit, meistenteils zu Kodriden gemacht sind, als man die Eroberung loniens durch eine einheitliche athenische Expedition konstruierte. Von der haben Herodot und Ion noch nichts gewußt. Ion läßt vielmehr die Chier aus Kreta stammen; zu Ioniern macht sie erst der Eintritt in den Bund am Panionion.

Beilage ı: Die Zeit des Rhodierschiedsspruchs für Priene.

Die Schrift datiert die Urkunde nur ganz im groben um 200; von einem der Richter hat PrEuner nachgewiesen, daß er 180 Pro- xenos von Delphi wurde; die Römer und die Pergamener kommen nicht vor: das schiebt sie vor 190, gestattet aber nicht, allzuweit in das 3. Jahrhundert hinaufzugehen. Dabei kann man sich für Priene beruhigen; aber die Zeilen 124— 157, die von 134 ab nur zur Hälfte erhalten sind, geben eine Darstellung von Ereignissen des 3. Jahr- hunderts, die zu ordnen für die allgemeine Geschichte wichtig ist. Es ist der Beweis der Prieneer, den sich die Richter zu eigen ge- macht haben. »Vor Lysimachos bei dem Handel um die batinetische Mark haben die Samier auf Karion usw. keine Ansprüche erhoben (125—130). Unter Antiochos Theos war wieder Grenzstreit: Karion haben die Samier nicht gefordert (131—133). Im Laodikekrieg, als das und das passierte, [wurden die Prieneer gezwungen] ihre Habe in die Stadt zu bringen --- TON rENÖMEeNoON AIAAOXON TÄC BACIAEIAC $I -- - das Land, das sie besaßen, als sie vertrieben wurden, zurückzugeben (134—139)«. So weit geht ersichtlich ein Bericht, der sich auf die vierziger Jahre bezieht. Ein Feind hat die Prieneer auf die Stadt beschränkt; der »Nachfolger in der Königsherrschaft« setzt sie wieder ein. Der seltsame Ausdruck ist verständlich, sobald man sich er- innert, daß Asien im Besitze des Antiochos Hierax blieb, der die Königsherrschaft ausübte, aber im Sinne der Legitimisten nicht der rechtmäßige König war oder doch nicht blieb. Wenn dies unter Seleukos II. oder Antiochos III. geschrieben ward, ist es nur korrekt. 139 KATENBÖNTEC A& Eic TÄN TIÖNIN NEMECBAI TÄN XxWPAN wird den wieder- hergestellten Besitzstand angehen. Dann zunächst unsichere Zeilen TÄc xWPAc TÄC ÖMöPoYc Äc AYTOI --- Em TAc AÄNTIrÖNOY BAcınelac - ÄMBIC- BATOTYNTAC Toic TIpıanefcın AıöTı TraPoPizontaı; aber man erkennt, daß die Samier wieder Ansprüche erheben. Diese schicken eine Gesandt- schaft an Anti-, der schreibt ihnen, aı6Tı «pineı: alles folgende ist

von Wıramowırz-MoELLENDORFF: Panionion. 35

ein Auszug aus diesem Urteilsspruch. 146 AnezAnaroy AIABANTOC eic TÄn Acian Enemonto -- die samischen Gesandten ---- TÄN xW@PAN Kal er’ Anrı[rönoy zu ergänzen aus I41] -- En TAlc Emicronalc TAIC BACIAIKAIC eypeeinaı; nun erklärt der entscheidende König Anti-, was sich aus seinen Akten ergab: unter Lysimachos haben die Samier Karion nicht gefordert = 125 130: unter Antiochos ebenfalls = 131—133 -- An- TIoxon TON Yrıo Bacınewc TTTonemaioy TETATMENON -- |YTIer To? oroyPilov oOYeen EIPHKÖTAC, und auch aus allen andern Gründen haben die Prieneer recht. Ohne jeden Zweifel muß sich die Partie, in der ein ptole- mäischer Beamter vorkommt, auf die Ereignisse beziehen, die 134—40 ausführlicher standen, also auf den Aroaikeıoc rrönemoc, zu dem ja auch die Einmischung der Ptolemäer stimmt. Also ist der entscheidende König Anti-, der über das königliche Archiv verfügt, ein Antiochos, also Antiochos II. Er entscheidet, daß recht sein sollte, was 334 recht war; das war nicht unmittelbar klar, aber die späteren Ent- scheidungen wiesen die Samier ab. Der König Antigonos, den die Seleukiden nicht anerkennen, kommt nur vor, wo die Samier fordern, natürlich: sie mußten über die Zeit des Lysimachos hinaufgehen, um Karion zu fordern, das nach ihrer Angabe von den Prieneern zur Zeit ihres Tyrannen Hieron, um 300, okkupiert war (110ff.).. Sie kom- men aber damit nicht durch, obwohl sie vermutlich recht hatten, denn wie es unter Alexander gewesen war, war unklar, und man darf bezweifeln, ob Priene damals Karion behauptete. Doch das ist hier einerlei: der Zusammenhang dieser Urkunde ist tadellos und zweifellos. Wann Antiochos II. so entschieden hat, kann ich nicht sagen; schwer- lich 191, eher aus der Ferne, aber nach dem Sturze des Achaios. BerocH (Gr. Gesch. III 2, 464) hat in dem Antigonos hier den Doson gesehen und gar 2.137 eilaımnon| ergänzt, wo alles mögliche gestan- den haben kann. Das fällt von selbst durch die Interpretation des Textes. Es ist aber auch geschichtlich oder besser geographisch ganz undenkbar. Doson hat notorisch weder Samos noch Ephesos noch Magnesia noch Milet besessen, zwischen denen das unbedeutende hafen- lose Priene mitten inne liegt.

Beilage 2: Phokaia und Klazomenai.

Pausanias (VII 3, 10. 2, 4) hebt mit Recht hervor, daß diese beiden Städte vor der Besiedelung durch die Ionier nicht bestanden: die Namen bezeugen das. Phokaia wäre von Phokern gegründet. die mit den Athenern ®inorennce und AAmwn kamen; das Land hätten ihnen die Kymäer abgetreten. Zu den Panionien wären sie aber erst später zugelassen, als sie Kodriden zu Königen nahmen, Leoites (Aeoitkc

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Sitzungsberichte 1906.

56 Sitzung der philosophisch -historischen Classe vom 18. Januar 1906.

ist kein Wort), Perikles und Abartos'; die kamen von Teos und Ery- thrai. Zugestanden ist damit, daß die Stadt im panionischen Bunde jünger als die südlicheren Ionierstädte war. Auf dieselbe Tradition deutet Strabon XIV 633. Die Ableitung aus Phokis kennt Herodot, wenn er unter den Besiedlern Ioniens »swkeec AmoaAcmioı nennt. Daß wir diesen Ausdruck verstehen und überhaupt weiter kommen, liegt

an der Erhaltung des betreffenden Abschnittes aus Nikolaos von Da-_

maskus: wieviel würden wir über Asien wissen, wenn sein Buch das 10. Jahrhundert überdauert hätte. Exzerpt ı8 de insidüs (S. ı7 de Boor, Fg.53 Mürter: wenn doch die Ausgabe der Exzerpte Para- graphen abgeteilt hätte!) beginnt dr “lwunec En Tüı mıröc "Orxomenioyc moremwı viele Frauen rauben; mit denen zeugen sie Kinder, die er- wachsen auswandern müssen. Sie gehen nach Thorikos mrocTHcAmeno! Hremönac AYTÖn die Namen sind ausgefallen, wir ergänzen Damon und Philogenes, und der Vokalismus sagt auch, daß Armwon kein Athener war. So fahren sie Xma Toic "Iucın ab; auch Peloponnesier sind dabei. Wie können die Leute, die selbst “Ionec sind, Ama Toic “Jocın abfahren? Sie besetzen unweit des Hermos eine Insel, dann einen Punkt der Küste. Mennes von Kyme will sie hindern: sein Bruder Uatias schließt mit ihnen emiramian Kal einlan; sie stürzen ver- eint den Mennes: Uatias wird König, 6 a’ eveewc TÄc iröc Pwreoyc cYnekkac Azlov Emrreao®?n. Der Ortsname ®ukaı war noch nicht ge- nannt, seine Ableitung wird nirgend gegeben. Offenbar ist es nicht genug, hier ®ukacac zu setzen, sondern im Eingange ist “lwnec in ®wkeic zu ändern, was gar kein schwerer Lesefehler ist; auch hier liegt ®wreac näher.”

Daß ®ukaır von den Phokern stammte, leuchtet gar nicht ein. Den Ortsnamen nennt Skylax auch an der Mykale, und an einer »Robben- insel« ist nichts auszusetzen. Wirklich hat denn auch diese Ableitung bei Aristoteles (Herakleides 67) gestanden, daneben ein Eponym Phokos: damit ergibt sich die Verknüpfung mit den Phokern, einem Stamme der nordgriechischen Einwanderer, der die Robbe zum Totem hatte, als ein altes Autoschediasma. In Wahrheit sind ja auch die Phoker des Nikolaos von Mutterseite Minyer von ÖOrchomenos. Diese sind allgemein die Besiedler von Teos, und aus Teos und Erythrai be- ziehen die Phokäer ihre Könige, um als Ionier zu gelten. Dann waren diese ihre «ricraı; Pausanias liefert die Namen: die Gründung aber

! “AsapToc ist unverständlich, und Eigennamen sind bei Pausanias oft entstellt, aber mit einer bloßen Umdeutung der Zeichen kommt man nicht aus. 2 Noch eine Änderung am Texte ist nötig, S. ı8, 2 de B. o| A& WMOAÖTHCAN® EKEINoc Ag (Ereinoi TE Cod.) Kal TÜN KyYmalun ÖCoYc EAYNATO ArWN ETIEEÄNBEN Ef TON

MENNHN (EAYNANTO Kal ETTEEÄNBON).

von Wiıramowırz- MOELLENDORFF: Panionion. 57

ging von Teos und Erythrai aus. Ihre Konkurrenten sind AAmwn kal sinorenHhc, wohl sicher »ynorennc!, der Mann des Volkes und der aus der Phyle: man glaubt die Genealogie der Demokratie im Gegensatze zu den Königsnamen mit Händen zu greifen. Und deutlich ist, wie diese Führer erst hinterher zu Athenern werden. Ob die Könige Kodriden waren, hängt davon ab, ob man diese Bezeichnung des Adels für altionisch hält, was ich immer noch glaube, aber zu einem zwingen- den Beweise fehlen die Mittel. So bleibt denn als geschichtlich, daß Teos und Erythrai den günstigen Platz an der Hermosmündung sich von einem Prätendenten von Kyme abtreten lassen unter Gewährung von commercium und conubium mit Kyme. Die kymäischen Namen MennHc und OYariac sind sehr vertrauenerweckend. Auch ein solcher Zug, wie Thorikos statt Athen als Abfahrplatz, ist sehr gut, wenn er auch nur in einer fiktiven Erzählung steht: nach 480 hätte das niemand erfunden; aber im Demeterhymnos 126 soll dort die Göttin ge- landet sein.

Von Kaazomenai, »Bruck«’, sagt Pausanias geradezu, daß der Gründer ein Kolophonier war’, und die Ansiedelung erfolgte, nach- dem die Auswanderer erst am Ida, dann an einem Orte des kolopho- nischen Geländes vergebliche Versuche gemacht hatten. Das gibt eine zureichende Vorstellung. Dabei gewesen wären Leute von Phleius und Kleonai, die vor den Dorern flohen. Das können sehr gut auch die Vorfahren derjenigen gewesen sein, die aus Kolophon auswanderten, natürlich auch Zuzügler: auf die Ätiologie ihres Fortganges aus dem Peloponnes wird niemand viel geben.

! In der alten Zeit ist ®yao- ebenso häufig wie ®iro- selten; später dreht sich

das um, so daß die Fehler zahlreich werden. Heroinen wie ®yYaonöH, der Arzt ®yaö- Timoc u. a. pflegen falsch benannt zu werden. Auch der Amykläer, der seine Stadt an die Dorer ausliefert, hat ®yaönomoc geheißen, nicht ®inönomoc; er besagt, daß die Aınykläer, weil sie mit den Dorern Vertrag schlossen, eic TÄcC #YnAc ENEmonTo.

2 Der Name lehrt die Präsensbildung «AAzw neben Ka& kennen, die neben EKAACA, KAAceeic erwartet werden darf. Die Uferfelsen bröckelten ab; der Hafen XYTön hatte ein angeschüttetes Kai: das sind Seltenheiten in Hellas.

® TTApsoroc Pausanias; TTAranoc Strabon 633: zwischen den Varianten läßt sich nicht entscheiden.

Ausgegeben am 25. Januar.

Berlin, gedruckt in der Reichs(ruckerei,

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IV.

KONIELICH PREUSSISCHEN ;

etliche Sit: ng an am 25. WERE Wiranowi OELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. (S. 59). Se über die akademischen een Stiftungen und Institute. (S. 80)

BERLIN 1906. VERLAG DER } KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

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Aus Sl.

Die Akademie gibt gemäss $ 41,1 der Statuten zwei fortlaufende Veröffentlichungen heraus: »Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften« und »Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften «,

Aus $ 2,

Jede zur Aufnahme in die »Sitzungsberichte« oder die »Abhandlungen« bestimmte Mittheilung muss in einer aka- demischen Sitzung vorgelegt werden, wobei in der Regel das druckfertige Manuseript zugleich einzuliefern ist. Nieht- mitglieder haben hierzu die Vermittelung eines ihrem Fache angehörenden ordentlichen Mitgliedes zu benutzen.

$3.

Der Umfang einer aufzunehmenden Mittheilung soll in der Regel in den Sitzungsberichten bei Mitgliedern 32, bei Nichtmitgliedern 16 Seiten in der gewöhnlichen Sehritt der Sitzungsberichte, in den Abhandlungen 12 Druckbogen von je 8 Seiten in der gewöhnlichen Schrift der Abhand- lungen nicht übersteigen.

Überschreitung dieser Grenzen ist nur mit Zustimmung der Gesammt-Akademie oder der betreffenden Classe statt- haft, und ist bei Vorlage der Mittheilung ausdrücklich zu beantragen. Lässt der Umfang eines Manuscripts ver- muthen, dass diese Zustimmung erforderlich sein werde, so hat das vorlegende Mitglied es vor dem Einreichen von sachkundiger Seite auf seinen muthmasslichen Umfang im Druck abschätzen zu lassen.

S4.

Sollen einer Mittheilung Abbildungen im Text oder auf besonderen Tafeln beigegeben werden, so sind die Vorlagen dafür (Zeichnungen, photographische Original- aufnahmen u. s.w.) gleichzeitig mit dem Manuseript, u auf getrennten Blättern, einzureichen.

Die Kosten der Herstellung der Vorlagen haben in der Regel die Verfasser zu tragen. Sind diese Kosten aber auf einen erheblichen Betrag zu veranschlagen, so kann die Akademie dazu eine Bewilligung beschliessen. Ein darauf gerichteter Antrag ist vor der Herstellung der be- treffenden Vorlagen mit dem schriftlichen Kostenanschlage eines Sachverständigen an den vorsitzenden Seeretar zu riehten, dann zunächst im Seeretariat vorzuberathen und weiter in der Gesammt- Akademie zu verhandeln.

Die Kosten der Vervielfältigung übernimmt die Aka- demie. Über die voraussichtliche Höhe dieser Kosten ist wenn es sich nicht um wenige einfache Textfiguren handelt der Kostenanschlag eines Sachverständigen beizufügen. Überschreitet dieser Anschlag für die er-

forderliche Auflage bei den Sitzungsberiehten 150 Mark,

bei den Abhandlungen 300 Mark, so ist Vorberathung durch das Seceretariat geboten. Aus $5.

Nach der Vorlegung und Einreichung des vollständigen druckfertigen Manuseripts an den zuständigen Seceretar oder an den Archivar wird über Aufnahme der Mittheilung in die akademischen Schriften, und zwar, wenn eines der anwesenden Mit- glieder es verlangt, verdeckt abgestimmt.

Mittlieilungen von Verfassern, welche nicht Mitglieder der Akademie sind, sollen der Regel nach nur in die Sitzungsberichte aufgenommen werden. Beschliesst eine Classe die Aufnahme der Mittheilung eines Nichtmitgliedes in die dazu bestimmte Abtheilung der »Abhandlungen«, so bedarf dieser Besehluss der Bestätigung dureh die Gesammt - Akademie,

(F ortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)

Aus dem Reglement für die Redaetion der akademischen Druckschriften

_ Adressen oder Berichten werden für ‚die Verfasser, vo

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Aus $ 6. N

Diean die Druckereiabzuliefernden Manuseripte unge wenn es sich nicht bloss um glatten Text handelt, : 1 reichende Anweisungen für die Anordnung des Satze- und die Wahl der Schriften enthalten, Bei Einsendu nge Fremder sind diese Anweisungen von dem vorle; Mitgliede vor Einreichung des Manuseripts vorzunehme Dasselbe hat sich zu vergewissern, dass der Verf: seine Mittheilung als vollkommen druckreif ansieht.

Die erste Correctur ihrer Mittheilungen besorgen d Verfasser. Fremde haben diese erste Correetur an d vorlegende Mitglied einzusenden. Die Correetur soll Möglichkeit nieht über die Berichtigung von Druckfehle und leichten Schreibversehen hinausgehen. Umfängli : Corveeturen Fremder bedürfen der Genehmigung des x edli girenden Secretars vor der Einsendung an die Drucke; und die Verfasser sind zur Tragung der entstehenden Meh kosten warpilichtet, & . .

Aus $8 h Von allen in die Sieniderheriahe oder Abhandiı zei aufgenommenen wissenschaftlichen Mittheilungen, Reder

wissenschaftlichen Mittheilungen , wenn deren Umfan, Mi Druck 4 Seiten übersteigt, auch fürden Buchhandel Sond abdrucke hergestellt, die alsbald nach Erscheinen des be- l en Stücks der Sitzungsberiehte ausgegeben werde Von Gedächtnissreden werden ebentalls ‚Sonderabdrue für den Buchhandel hergestellt, indess nur dann, wenn Verfasser sich ausdrücklich damit einverstanden erklären. 9 5 EN Von den Snake ucken aus den Sitzungsberichten erhält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie is zu tunentgeltlicher Vertheilung ohne weiteres 50 ‚Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis zur Zahl von 200 (im ganzen also 350) abziehen zu lassen, | sofern er diess yechtzeitig dem redigirenden Seeretar an- gezeigt hat; wünseht er auf seine Kosten noch mel Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf Dr der Genehmigung der Gesammt- Akademie oder der b treffenden Classe. Nichtmitglieder erhalten 50 Fre exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige bei = redigirenden Secretar weitere 200 Exemplare Auf, A Kosten abziehen lassen. T Von den Sonderabdrucken aus den Aukasahkaen er- hält ein Verfasser, welcher Mitglied der Akademie ist, zu unentgeltlicher Vertlieilung ohne weiteres 30 ‚Frei- exemplare; er ist indess berechtigt, zu gleichem Zwecke auf Kosten der Akademie weitere Exemplare bis zur Zahl von noch 100 und auf seine Kosten noch weitere bis | zur Zahl von 100 (im ganzen also 230) abziehen zu lassen, sofern er diess rechtzeitig dem. vedigirenden ‚Seeretar an- gezeigt hat; wünscht er auf seine Kosten noch mehr Abdrucke zur Vertheilung zu erhalten, so bedarf es dazu der Genehmigung der Gesimmt- Akademie oder der be- treffenden Classe. Nichtmitglieder erhalten 30 Frei- exemplare und dürfen nach rechtzeitiger Anzeige beid vedigirenden Secretar weitere 100 a: auf ikze Kosten abziehen lassen. Y Ei | 8.17. N F 3 Eine für die Akad aaa Schriften vo stimmte wissenschaftliche Mittheilung darf in keinem Falle vor ihrer Ausgabe an jener | Stelle anderweitig, sei es auch nur auszugs-

59

SITZUNGSBERICHTE 1906. I.

DER

KÖNIGLICH PREUSSISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

25. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Geburtsfestes Sr. Majestät des Kaisers und Königs und des Jahrestages König Frreprıcn’s I.

Vorsitzender Secretar: Hr. Diers.

Hr. Diers eröffnete die Sitzung, welcher das Ehrenmitglied der Akademie, Se. Excellenz Hr. Staatsminister Dr. Stupr beiwohnte, mit einer kurzen Ansprache, in der er die Glückwünsche der Akademie für Se. Majestät den regierenden Kaiser und König aussprach und dankbar der Fürsorge FRIEDRICHS DES GROSSEN für seine Akademie ge- dachte.

Darauf hielt Hr. von Wıramowırz-MoELLENDoRFF die wissenschaft- liche Festrede:

Über die ionische Wanderung.

As vor zwei Menschenaltern Karı Lacumann in unserer Akademie die Betrachtungen über die Ilias las, konnte er noch glauben, ihre ur- sprüngliche Gestalt zurückzugewinnen, lediglich indem er mit seinem methodisch geschulten Auge einen modernen Abdruck des Textes be- trachtete, der allerdings seit zweitausend Jahren nicht viele Verän- derungen erfahren hat. Ob der Inhalt Erfindung oder Geschichte wäre, Ilios an den Dardanellen oder im Märchenlande läge, glaubte er nicht fragen zu müssen; es war ihm auch ziemlich gleichgültig. Vor einem Menschenalter begann Hemrıch ScHLiemann auf dem Boden der grie- chischen Stadt Iliion zu wühlen, unbeschwert von jeder sprachlichen oder geschichtlichen Wissenschaft, beflügelt von dem naiven Kinder- glauben, alles was im Homer stünde, müßte real sein. Dabei hat er zwar auch wichtige (und gerade für Homer wichtige) Zeugnisse des Bodens rücksichtslos zerstört; aber er fand unerhörte Schätze, die er sofort mit denen des Priamos identifizierte. Es steht heute außer Frage, daß sie viele Jahrhunderte älter als die Mauern sind, die man jetzt

Sitzungsberichte 1906. 8

60 Öffentliche Sitzung vom 25. Januar 1906.

mit dem homerischen llios gleichsetzt. Es war nicht mehr als billig, daß die Welt dem Entdecker zujubelte, mindestens verzeihlich, daß die Masse, die geschichtliche Wissenschaft nicht fassen kann, die realen Schätze als Beweis für die Realität der homerischen Erzählung nahm. Die Leute werden nicht aussterben, welche den Todeslauf Hektors auf der Karte einzeichnen, und auch nicht die, welche diesen Glauben in Hissarlik bewahren, unbeirrt durch das Höhenprofil des Geländes. Darüber ereifert man sich nicht; man nimmt es aber auch nicht ernst. Dem Mute und dem Glauben ScHLiemanns gebührt für alle Zeit der wärmste Dank, denn sein Erfolg hat eine Periode der Entdeckungen eröffnet, deren Ende unabsehbar, deren Ergebnisse unschätzbar sind. Schon vor zwanzig Jahren durfte ich aussprechen, daß die Frage nach der Komposition der Ilias zu der nach der Geschichte des Epos und der Geschichte der griechischen Stämme bis zur Bildung des griechischen Volkes geworden wäre. Damals war der Spaten in Kreta noch nicht angesetzt. Heute stellt uns die wunderbare Kultur des zweiten Jahr- tausends v. Chr., deren Zentrum Kreta war, vor die Frage, ob ihre Träger Griechen gewesen sind oder nicht, und wir sehen beide Thesen mit Lebhaftigkeit verfochten, aber ohne jeden Beweis. Die homerische Forschung kann sich hinfort nicht einmal mehr in den Grenzen des Griechischen halten. In Asien selbst sind freilich die Funde aus den Jahrhunderten 9—7, der Zeit des blühenden Epos, immer noch spärlich, und wenn in Hissarlik nur das herausgekommen ist, daß die Stätte während dieser Zeit wüst lag und von Griechen erst unter der Lyder- herrschaft besiedelt ist, so war das nichts, als was die zuverlässige Überlieferung der Griechen uns immer berichtet hatte; was denn die Fanatiker in der einen oder andern Weise zu eludieren suchen, am konsequentesten die, welche Homer schlankweg zum Zeitgenossen der mit seiner Welt identifizierten und achäisch getauften Kultur machen. Daß die Erhaltung seiner Dichtungen dann ein Wunder ist, wird sie nicht weiter beirren. Von den ältesten Besiedlern der Küsten, die später äolisch und ionisch heißen, ist bisher kaum etwas gefunden, es sei denn die Nekropole von Assarlik, das aber in Karien liegt.' Allein der sicherste Weg ist doch immer der, welcher schrittweise zu den dunkelen Zeiten aus den hellen führt, und für diese ist und wird überall reicher und sicherer Ertrag erzielt. Schon daß die to- pographische Forschung die einzelnen Orte zu Individuen macht, ver- scheucht die blassen Allgemeinheiten. Von der Insel Lade aus sieht sich die Geschichte Milets ganz anders an, und die Poesie Homers wird als Poesie ganz anders auf dem ionischen Meere lebendig als in der

! Herusıs, Gött. Nachr. 1896.

von Wıramowrrz-MoELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. 61

Studierstube. Nur muß man auch in dieser arbeiten, und alles über- lieferte geschichtliche Material mit Verwertung aller Forschungsweisen prüfen, vor allem, wie Lacumann, mit dem wissenschaftlich geschulten Verstande.

Die Sprachwissenschaft hatte schon vor einem Menschenalter dem Homertext selbst Aufschlüsse entnommen, die zum Teil schon früh im Altertum geahnt, aber von den Alexandrinern nicht anerkannt waren. Es offenbarte sich nicht nur dieselbe Sprache in verschie- denen Stadien der Entwickelung, ein Beweis, daß das ionische Epos lange Zeit in Fluß gewesen war, ehe es im 7. und 6. Jahrhundert zu der Form erstarrte, die wir besitzen, sondern es kamen auch Formen und Wörter an den Tag, die einer andern Mundart, dem Äolischen, angehörten. Darauf gestützt hat man ein älteres äolisches Epos er- schlossen, und mehrfach ist gar der Versuch gemacht, durch bequemes Umschreiben ins Äolische eine Ur-Ilias zu gewinnen. Nun besaßen die Griechen selbst keine andere äolische Literatur als die Gedichte der Lesbier Alkaios und Sappho aus der Zeit Solons; wir haben selbst von diesen nur geringe Bruchstücke. Gleichwohl entnahm man diesen das Jahrhunderte ältere Äolisch des präsumptiven Homer, und da er nun lesbisch redete, erschloß man ein lesbisches Epos, und ging dann weiter und suchte die historische Grundlage der Ilias in der Vorge- schiehte der Lesbier. Mit all dem entfernte man sich ganz von den Tatsachen. Sappho kennt nur den Homer, den wir haben; die Ver- suche der Lesbier, im Skamandertale Fuß zu fassen, sind kaum älter als ihre Zeit, und keine alte Tradition setzt Homer oder das Epos mit Lesbos in Verbindung. Ich habe den Irrtum selbst geteilt, aber vor der Prüfung der Überlieferung kann er nicht bestehen. Die äolischen Iliaden sind vollends Phantome. Dadurch verlieren die Beobachtungen der Sprachwissenschaft nichts von ihrem Werte. Äoler gab es ganz unabhängig von Lesbos auf dem asiatischen Festlande. Herodot be- richtet, daß sich zwölf kleine Städte südlich von der Kaikosmündung zu einem Bunde zusammenschlossen; es muß noch im 8. Jahrhundert gewesen sein. Die bedeutendsten waren Kyme, wo Hesiods Vater zu Hause war, und Smyrna, nach der allein ernst, aber sehr ernst zu nehmenden antiken Tradition die Heimat Homers. Smyrna ging gegen Ende des 8. Jahrhunderts an die Ionier von Kolophon verloren. Überhaupt aber traten diese schwachen äolischen Ackerstädtchen gegen- über der materiellen und geistigen Macht der ionischen Nachbarn bald ganz in den Schatten. Nach Alexander hat ihr Bund gar keine Erneuerung mehr erfahren, wie es der ionische tat; zum Ersatze ward einer um Ilion gebildet, wo es keine äolischen Spuren gibt. Überhaupt stirbt das Äolische außer Lesbos langsam und unbeachtet ab; wenn man es

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62 Öffentliche Sitzung vom 25. Januar 1906.

in den Urkunden von Kyme z.B. noch anwendet, lehnt es sich natürlich an das allein ausgebildete Lesbisch. Aber in der Zeit Homers müssen die Griechen in diesen Gegenden sehr viel weiter ins Land gewohnt haben. Die Ilias! kennt schon eine der zwölf Städte mit dem thessalischen Namen Larisa und den aus Thessalien herübergenommenen Volksnamen der Pelasger, freilich als Bundesgenossen der Troer; aber das sind Te- lephos und Eurypylos von Teuthrania und Pergamon auch, und doch sind sie Griechen aus Arkadien. Die Dias kennt aber auch das Land weit den Hermos hinauf, kennt den gygäischen See und den 'Tmolos. Am Sipylos sind nicht nur Tantalos und Niobe angesiedelt, sondern hat immer eine hellenische Enklave, Magnesia, gelegen. Nach Norden, auf den Ida zu, kennt Homer eine Stadt mit dem griechischen Namen Theben, an einem Berge, der wieder griechisch Plakos heißt; ja, sie kennt den Sangarios und den askanischen See, und sie kann das nicht von der Propontis her tun, die ganz im Dunkel liegt, also von der Landseite. Dem entspricht es, daß mitten im Inneren Skepsis und sogar Kebren von Griechen, Äolern und Ioniern, besetzt sind, und Kebrioneus ist der Wagenlenker Hektors. Das sind wieder nur ein paar Inseln, die sich in dem Meere der mysischen und thrakischen Invasion seltsam ausnehmen; aber eben diese Invasion ist eine histo- rische Erscheinung, die wir ebensogut erfassen wie das Vordringen der Phryger und Lyder, deren Kultur sehr stark von diesen Griechen beein- flußt ist (hat doch Homer für einen Midas gedichtet), aber die politische Freiheit und vielfach auch die Sonderart der griechischen Bewohner zerstört hat, die hier so ziemlich als die älteste Schicht erscheinen.

Noch stärker wirkte der Vorstoß der griechischen Nachbarn von Siiden her. Den Verlust Smyrnas an Kolophon, das zu Lande angrenzte, ist unvergessen geblieben. Deutlich erkennt man auch in Phokaia und Klazomenai Gründungen der Teier und Kolophonier, die auf äolischem Boden erfolgt sind, wie ich meine, im 8. Jahrhundert.” Und daß auch Erythrai und Chios mindestens zum Teil äolisch gewesen sind, besagt für Chios direkte Überlieferung”, für Erythrai, daß das Kap Argennon, das noch südlicher liegt, einen spezifisch äolischen Namen hat.' Dies hat

! Es ist allerdings wesentlich die erhaltene Bearbeitung der Bücher Y und ®, von denen sich durch den Schiffskatalog beweisen läßt, daß sie in der Ilias, die er vor Augen hatte, anders aussahen.

2 Vgl. Sitzber. 1906, 13. Januar; diese Abhandlung setze ich im folgenden voraus.

® Ephoros bei Steph. Bonıccöc: es ist der Sitz Homers in der alten Legende.

* Bemerkenswert ist, daß in Erythrai Achilleus, Thetis und die Nereiden einen Staatskult haben (Divrengerser Syll. 600). Zwischen Smyrna und Klazomenai liegen die Aramemnönela aoYTPpA. Spätere Übergriffe in das äolische Gebiet sind Atarneus, das zu Chios, Leukai, das zu Klazomenai gehört. Übrigens nennt Plinius 5, 135 ein Inselehen Argennon auch an der Mykale.

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sich denn auch in der späteren Mundart von Chios bestätigt, die in be- stimmten Stücken äolisiert. Nun sind es diese Städte, Smyrna, Pho- kaia, Erythrai, Chios und das ganz ionische Kolophon, in denen sich der Homer der alten Legende bewegt, also in eben der Gegend, deren Bevölkerung genau so gemischt war wie die homerische Sprache. Es dürfte doch vorschnell gewesen sein, von Gedichten aus dieser Gegend einen reinen Dialekt zu fordern. Dagegen entspricht es genau den Verhältnissen, daß das Epos sich immer mehr ionisiert und seinen Hauptsitz in Kolophon bis in die hellenistische Zeit gehabt hat. Die Äoler um Kyme und Homer selbst werden aus Thessalien (oder wenig südlicheren Gegenden) abgeleitet; dort hat man auch später eine verwandte Sprache geredet, und Achilleus ist am Sper- cheios zu Hause. An sie schließen sich die ionischen Städte, von denen jede einzelne eine besondere Überlieferung über ihre Herkunft hat; daneben steht die allgemeine Herleitung der Ionier. Schon an sich muß man geneigt sein, den Sonderüberlieferungen höheren Wert beizulegen; daher hilft es nichts, ich muß sie kurz durehnehmen.' Chios hat Kreter zu Besiedlern, die mit der Zeit ihre Mitbewohner, Karer und Abanten, also Festlandsgriechen, abstoßen; erst spät treten sie freiwillig in den ionischen Bund. Dies ist besonders wichtig, da es ein Zeitgenosse Herodots berichtet.” In Erythrai sitzen wieder Kreter mit Lykiern und Pamphylern, die erst spät Zuzug aus allen ionischen Städten erhalten; die existieren also bereits, offenbar eine Anerkennung der späten Gewinnung des Ortes für das Ionertum, so daß Knopos als Sohn des Kodros gar nicht denkbar sein würde, auch wenn wir

ihn nicht in viel jüngerer Zeit wiederfänden.” Erst auf der Südseite

der Mimashalbinsel gibt es wirklich ionische Orte, und doch leitet sich Teos’ von den Minyern aus Orchomenos ab; wenn Anakreon

! Die Übereinstimmung von Strabon und Pausanias VII liefert uns die histo- rische rmaPAAocıc, den Niederschlag der alexandrinischen Philologie. Bestimmte Ge- währsmänner sind nicht zu nennen, aber das schadet nicht viel.

2 Strabon liefert statt dessen einen Gründer ‘Ereprioc, von dem sonst nichts bekannt ist; das ist also ein Kodride, den wir durch Ion los werden. Er führt aber immer noch CYMMeIKToON TIARBO0C.

3 In derLokalgeschichte des Hippias ist erZeitgenosse des Tyrannen Amphiklos von Chios, und die Tyrannenzeit ist eben nicht die Königszeit. Erythrai hat seinen Namen bewahrt und ist, ohne daß gegraben wäre, reich an Inschriften: da ist eine Untersuchung dringend erforderlich, mindestens eine ständige Überwachung. Dasselbe gilt von Teos.

* In der Anordnung der späteren Namen differieren Strabon und Pausanias. Strabon führt zuerst einen Bastard des Kodros ein, Nafkaoc, später zwei Athener Tloikkc und AAmacoc, und einen Böoter FerHn (auf diese Form führten die Codd. mit rAp Än; Hesych rerun Enrtimoc). Bei Pausanias ist der erste “Arroikoc, TETAPTOC ÄTIÖ MenAneoy, der Name falsch hellenisiert aus TToik#c, dann kommen die Kodriden Naö- Kaoc (die ionische Schreibung bewahrt) und Damasos (wie stehen die zu Apoikos?) und der Böoter Ferkc. Wir wissen durch CIG. 3064, daß TToixsc Eponym eines

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seine Heimat athamantisch nennt, so ist das nichts anderes, denn das athamantische Gefilde gehört zu Orchomenos. Später kommen Athe- ner und Böoter; diese sind natürlich dieselben Orchomenier. Kolo- phon, in der ältesten Zeit neben und vor Milet die wichtigste Stadt, liegt zwar bei dem vorgriechischen Apollonorakel von Klaros,' hat aber einen griechischen Namen; seine Bewohner werden aus Kreta und Böotien hergeleitet, daneben nennt der Kolophonier Mimnermos das Pylos des Neleus; wo er das ansetzt, wissen wir nicht, doch sicher an der Westküste des Peloponnes. Weil das Epos in Kolophon blühte, sind hier ganz besonders viele seiner Helden hergezogen, was das Urteil schwierig macht.” Zuletzt erscheinen die Kodriden, die sehr danach aussehen, gleichen Schlages mit Knopos von Erythrai zu sein.” Über Ephesos ist unser Gewährsmann Strabon ausführlicher,

rıYproc ist, deren viele bekannt sind mit guten Namen, die in Athen (®inAloc) und Chalkis (Köeoc) wiederkehren, aber auch vielen barbarischen. Eine Phyle, Geleontes, ist bekannt; vor Konstruktionen ins Blaue soll man sich hüten. Die Quasigeschichte ist also aus guter Lokaltradition zusammengebraut, aber willkürlich, sonst wäre nicht der Eponym eines Demos der Archeget der Stadt. Es wird Zufall sein, daß wir keinen Lokalantiquar kennen. Die rıyproı sind natürlich ville, Landhäuser des grund- besitzenden Adels. Das bedeutet das Wort im Hellenistischen und noch heute. Gleich AAmoc braucht es Euripides Phoen. 1706. Für Verbindung mit Athen fehlen alle alten oder besonderen Anhaltspunkte.

! Kolophon scheint ganz verloren zu sein, vgl. Schucnarpr, Ath. Mitt. XI. Das NöTIon (Teixoc), der Hafenplatz des alten, ist ganz und gar das neue Kolophon geworden. Der Apoll von Klaros und Homer gehören zu Kolophon: aber ihre Monumente finden sich auf dem Boden der Hafenstadt, Österr. Jahreshefte VIII 155. Es ist höchst er- freulich, daß das Ottomanische Museum die Erforschung des Bodens nördlich im An- schluß an die österreichische Zentralstation Ephesos unternehmen will.

?2 Besonders wichtig ist, daß in den Nosten, denen auch kolophonischer Ur sprung gegeben wird, Kalchas, Idomeneus, Sthenelos nach Kolophon kommen (Ly- kophron 424—438, wertvoller als Apollodor Epit. 6 usw. und ohne Anstand verwertbar); da haben wir die Kreter und einen der vornehmsten Epigonen, deren Taten von ko- lophonischen und teischen Epikern geschaffen sind.

® Damasichthon (der Name kehrt als König von Plataiai wieder) und Promethos, dessen Grab in einem Dorfe stand. Dies und die Erzählung des Bruderkrieges deutet auf wirkliche Lokalüberlieferung und ihre Ausmalung im Stile der Geschichten von Mennes von Kyme, Knopos von Erythrai, vom Sturze der Neliden Milets. Überhaupt stehe ich nicht an, solche Figuren, die etwas besonderes tun und im Lande Heroen- gräber haben, für mehr zu halten als Hpwec Kricraı, d.h. Eponyme. Dazu gehören auch Amphiklos von Chios und Androklos von Ephesos. Dann sind es aber keine Kodriden des 2. Jahrtausends, sondern Männer nicht allzu ferner Vergangenheit, die zeitlos geworden sind, aber im Gedächtnis leben. Ihre Geschichten tragen die Farben wie die von Pindaros von Ephesos, Thrasybulos von Milet, d.h. sie sind ganz wie jene im 6. Jahrhundert gestaltet. Dagegen die Umformung zu Stadtgründern entstammt der Geschichtskonstruktion. Dieses Schlages ist auch Andraimon, dessen Grab am Wege von Kolophon nach Lebedos lag, nach Mimnermos ein Pylier und Gründer von Kolophon, nach Pausanias Kodride und Gründer von Lebedos, für das Strabon den durchsichtigen Naınen Andropompos gibt. Lebedos (gleichen Stammes nicht nur mit NegAaela, sondern auch mit Aerıetymnoc) war immer ein kümmerlicher Ort und hatte keine besondere Überlieferung.

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weil er dem Ephesier Artemidoros folgt, und der hat sich die Ver- sion ausgesucht, die für seine Vaterstadt am rühmlichsten war. Er fand sie bei einem Pherekydes, der ein Athener gewesen zu sein scheint. Denn er macht den Gründer von Ephesos, Androklos, zu einem echten Sohne des Kodros und läßt ihn Ephesos als Allkönig der Ionier beherrschen, eine Stellung, von der sonst niemand etwas weiß und die nur auf dem Geschlechtsnamen Basileidai beruht, den ein ephe- sisches Geschlecht geführt hat, zu dem noch Herakleitos gehörte. Man darf dieser Deutung nicht trauen; ein Ahnherr, der König hieß, kann sehr wohl ein ganz anderes Reich als Ephesos oder gar lonien be- herrscht haben." Jedenfalls gibt es eine abweichende Version, und die klingt nicht nur besser, sondern hat den Vorzug, aus der Chronik von Ephesos zu stammen. Danach sind die Samier lange Zeit nicht im- stande gewesen, dort Fuß zu fassen, haben auch die Barbarenstadt am Artemistempel nicht genommen, sondern nur am Koressos eine kleine Stadt gegründet, in der neben einem Athenaheiligtum eine Filiale der Artemis von Ephesos errichtet ward.” Danach stand also Ephesos mit Samos in Verbindung, und das ist sehr glaublich. Man darf sich über- haupt durch die Stadt des Lysimachos und den Glanz der römischen Provinzialhauptstadt nicht verleiten lassen, dem alten Ephesos eine große Bedeutung beizulegen. Die hat es durch die Handelsstraße ins Innere erst erhalten, als es Stützpunkt der Lyder und Perser war. Wir wissen ja durch Herodot, daß die hellenische Gemeinde sich in

! In Priene ist eine Weihung an Bacınevc Kai KoYPHTec gefunden; in Ephesos kennen wir die Kureten als Priesterkolleg: wie sie dämonischen Dienern des Götter- königs entsprachen, kann ihr Obmann jenem sacıneYc entsprochen haben. BacıneiaAl auch in Erythrai, Aristoteles Pol.ızo5b, aber da bilden sie eine Öligarchie wie die Bakchiaden in Korinth. Der Name BacınelaHc ist in Ionien häufig.

®2 Kreophylos bei Athenaeus 361; die Beziehung auf Samos ergibt die Kombi- nation mit Malakos En üroic Cionion Ath. 267, der eine für Ephesos noch viel weniger schmeichelhafte Version bietet. Es ist mir auch nach Bennporrs Forschungen zur Orts- kunde und Stadtgeschichte von Ephesos unmöglich an eine Griechenstadt beim Arte- mision zu glauben, denn das kostet die Preisgabe von Kreophylos, Herodot, überhaupt der ganzen guten Tradition, und gefunden ist ja doch nichts Altionisches, das zu solehen Gewaltakten zwänge. Die Filiale des Artemisions in der Stadt am Koressos ist besonders bezeichnend und kann nicht erfunden sein. Das Athenaheiligtum, der rroxıo?xoc, für die Hellenen (aber keineswegs die Athener) besonders bezeichnend, findet sich in vielen Städten; in Priene kann sie freilich jung und athenisch sein. Daß sie auch in Milet gefunden ist, ist sehr wertvoll. Der Apollon TTYeıoc am Hafen von Ephesos entspricht dem aeAeinion Milets. Pythier wird er später genannt sein, wie die Artemis von Milet XıTönht und “Hremönk war (Kallimachos 3, 225; eine Seltenheit fügt Libanios 5, 36 Försrer hinzu, Artemis führt in Hundsgestalt), aber im Kulte, sogar des Didymeus, Pythierin, das Hellenische gegenüber dem Barbarischen zu markieren. Diese Macht Delphis ist hoch bedeutsam und um 700 bereits in Gel- tung. Hat doch Midas von Phrygien und dann Gyges mit Delphi in Verbindung ge- standen.

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den Schutz der Artemis, also unter die Macht der Priester gebeugt hat. Nirgend war die Rede so durchsetzt mit Fremdwörtern: des ist Hipponax Zeuge. Eine besondere Verbindung mit Athen ist durchaus nieht glaublich.'

Über Samos haben wir den Bericht des einheimischen Epikers Asios aus dem 6. Jahrhundert. Da gibt es Götter und geographische Eponyme, von Zuwanderern nichts, und wenn das Volk Leleger heißt, so involviert das an sich nichts Barbarisches: die Lokrer sind ja auch Leleger. Daneben steht die Einwanderung von Epidauriern, und für Herkunft aus der Argolis zeugt der Herakult, der direkt von dort stammt. Die Verbindung mit den Ioniern wird nur so hergestellt, daß Prokles von Epidauros den Ion unter seine Ahnen bekommt.”

An der Mykale liegt Priene, dessen Herkunft aus Böotien an- erkannt ist; auf die Athener daneben ist wenig zu geben, da sie mit der Neugründung des 4. Jahrhunderts zusammenhängen können.” Milet beginnt seine Tradition mit Anax: dieser Name bezeichnet immer den Herrn der Unterwelt.‘ Auf ihn folgt Asterios, schon ein kretischer

! Suidas Arictapxoc gibt ein Exzerpt unbekannter Herkunft in einem gekünstelt naiven Stil. Danach soll, als Kyros gegen die Meder zog (also vor dem Zuge gegen Ionien, von dem vermutlich später gehandelt ward) ein Aristarchos aus Athen nach Ephesos geholt sein und die Mmönarxoc EzoyYcia erhalten haben. Es holen ihn seine TIPOCHKONTEC, weil er über sie fünf Jahre &mmenäc TE KAlI CYN KHAEMoNlaı geherrscht hatte. Daraus wird sich niemand einen Vers machen, es sei denn, er entstellt den Sinn der gezierten Phrase. Daß ich die ganze Geschichte für Fiktion erkläre, ge- schieht wegen Strab. 179: da schicken die Ephesier eine Priesterin ArıcTÄpxH nach Massalia, um den Dienst ihrer Göttin einzurichten. Zufall wird die Koinzidenz der bedeutungsvollen Namen schwerlich sein, und ich ziehe vor, beiden zu mißtrauen, statt einen Familienzusammenhang zu erschließen.

2 Daneben spielt bei Strabon u.a. ein älterer Gründer Temsrion eine Rolle, gleichzeitig mit Prokles bei Themistagoras, offenbar ein Barbar. Die beiden Phylen Astypalaia (die Stadt Samos) und Chesia (die Stadt Chesion am Kerketeus) Sitzungsber. 1904, S.931. Auch für Samos selbst und für Ephesos wäre es wichtig zu wissen, wann das thrakische Samos okkupiert ist. Die Stellen in dem großen österreichischen Werke II 106; ich vermag sie aber in keinen Zusammenhang zu bringen, namentlich weil die Zahl v in der Herakleides-Epitome der aristotelischen Politie korrupt ist. Für die Notiz aus Apollodor in Scholion AD zu Ilias N ı2 vermißt man schmerzlich die Beglaubigung der D-Scholien.

3 Philotas von Theben hat Philistos, den Sohn des Perikles, neben sich, der das Heiligtum der Demeter Eleusinia an der Mykale gründet, ein Begleiter des Kodros- sohnes Neleus nach Herodot 9, 97. Da scheint der Kodrossohn Aipytos noch nicht als besonderer Gründer von Priene gegolten zu haben, der später neben Philotas steht. Eine eleusinische Demeter konnte auch für Herodot an sich keine Herkunft aus dem attischen Eleusis bezeichnen: dazu ist der Kultname zu verbreitet. Die von Plataiai steht bei Herodot in demselben Buche. Myus hat keine besondere Geschichte, nur den Gründer KYarHunoc Köaroy. Ich erinnere mich sicher, Kyarfnıoı als Geschlechts- namen in einer oder mehreren Inschriften gelesen zu haben, ich glaube, auf anderem Sprachgebiet, aber ich kann die Stelle nicht finden.

* Wichtig, daß er in Anaia einen Kult hatte, Inschr. v. Magnesia 44.

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Name, dann kommt Miletos mit seinen Kretern, erst viel später Neileos, denn so lautet der Name, der dann mit Neleus gleichgesetzt wird; daher bekommt auch Neileos die Heimat Pylos; Herodotos nennt ihn aber einen Kaukonen, was zu dem Pylos der Odyssee nicht stimmt.' In der Vulgata ist er bekanntlich Sohn des Kodros und kommt aus Athen. Daß die Milesier ihr heiliges Feuer von dem athenischen Staatsherde mitgenommen haben wollten, weiß auch Herodot, und das wiegt so schwer wie die anderen Gründungssagen. Wirklich kennen wir in Athen ein Heiligtum des Neleus und der Basile, aber gerade dadurch gibt uns die mythologische Forschung die Handhabe zu einem ge- schichtlich wichtigen Schlusse. Die Königin, die Neleus neben sich hat, ist in einem anderen athenischen Heiligtum dem Echelos gesellt?, und kein Zweifel, daß diese Königin und ihr Entführer der Unterwelt angehören. Auch Neleus, der Vater Nestors, von dem dieser seine Rosse hat, ist kein anderer; wenn ihm Herakles seine Söhne in Pylos erschlägt, so ist das kein anderer Kampf als der, den er nach der Ilias in Pylos unter den Toten mit Aidoneus zu bestehen hatte. Und wenn Poseidon Vater des Heros Neleus ist, so besagt das wieder nichts anderes, denn Poseidon selbst ist von Hause aus der Herr der Erd- tiefe: erst als Gatte der Erdmutter wird er in seinem wahren Wesen erfaßt. Somit ist Neileos eigentlich derselbe wie Anax von Milet.? Ein Volk aber, das den Herrn der Erdtiefe seinen Ahn nennt, sagt damit nichts über seine Zuwanderung aus, im Gegenteil, das bedeutet dasselbe wie in Athen die Abstammung von Erichthonios oder von

! Da wohnen sie in der Nachbarschaft der Pylier r 366, ein altes ZATHMA. Fest sitzt der Name durch einen Fluß bei Dyme. Die Ratio Herodots ist leider nicht zu erraten; aber 4, 138 setzt er sie etwa nach Triphylien.

2 Kexrure, Berl. Winckelmanns-Programm 65. Das Relief des Echelos steht auf der Rückseite eines Weihreliefs an Hermes und die Nymphen, lediglich um den Ort ihres Kultes zu bezeichnen; es ist auch En ’Exeniaßn gefunden, das Flurname war, keine Gemeinde. Beiläufig, wir betonen in Athen BAclaH, in Ionien jetzt iepf, früher mit den Herodothandschriften iPeilH, iPHIH. Die Regel für das erste steht Stephan. ArAmmela; Theognost S. ııı; Hesych ist korrupt. Aber sie rechnet nicht mit den Be- legen für die Länge der letzten Silbe, die schon Burrmans, Gr. Gr. II? 427 dazu führten, sacaA zu fordern. Wenn wir wagen, von der TrAPAAocıc abzuweichen, müssen wir es in Athen so gut wie in Ionien tun. Ich würde allerdings lieber warten, bis ein Grammatiker mit der rraPAaocıc überhaupt zu Gericht gegangen ist. BAcIAH las man bei Sophokles; bei Euripides Alk. 81 muß man Bacinelan dreisilbig sprechen.

® Eine Prüfung der Ahnherren vieler Städte und Landschaften wird dieselbe Vorstellung von dem Herrn der Erdtiefe ergeben; neben ihm steht der Flußgott, der die Landschaft nährt, dessen Wasser aber auch aus der Erdtiefe stammt. Das ist also dieselbe Grundauffassung, nur spezieller gewandt, in der Richtung, die den Po- seidon am Ende auf einen Gott des Gewässers beschränkt hat. Zahllose Söhne von ihm sind Frevler, die von den zivilisatorischen Heroen erschlagen werden: sie sind eben rHreneic.

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Poseidon Erechtheus. Erst die epische Sage' und dann auch die Er- innerung an die Einwanderung, die neben jener naiven Herleitung der Urbewohner aus der Erde bestand, hat den Neileos vermensch- licht. Das Königshaus, das sich auf ihn zurückführte, wollte wirklich mit dem Boden verwachsen sein.

Milet pflegt als die südlichste Stadt Ioniens zu gelten; was weiter kommt, rechnet man zu Karien. Allein karisch ist die eingeborene Bevölkerung auch auf der milesischen Halbinsel und zwischen Ephesos und Priene’, und ionisch geworden ist das südlich anschließende Gebiet ebenfalls und schon sehr früh. Skylax von Karyanda schreibt schon unter Dareios I. Ionisch, Choirilos von Iasos ist ein Dichter in Alexanders Gefolge;® Bargylia will eine Gründung des Achilleus sein, und selbst Mylasa*, die Hauptstadt Kariens, schreibt unter Maussollos seine Ur- kunden ionisch. Dieser selbst ist Sohn des Hekatomnos, dessen Name griechisch ist, obwohl die Zusammensetzung und Bedeutung »Knecht der Hekate« ganz ungriechisch anmutet. Das Grab des Maussollos stand in Halikarnaß. Diese Stadt hatte einmal eine dorische Herren- bevölkerung gehabt und sogar kurze Zeit dem Dorerbunde angehört, und doch schreibt man dort nur ionisch, die Urkunden ebenso wie Herodot. Die Abgrenzung Ioniens ist also zu eng. Woher kommt das? Die Antwort können wir jetzt geben. Der Begriff Ionien ist durch den Bund der Ilonier bestimmt, die an der Mykale im Heilig- tume »aller Ionier« zusammenkamen. Dieser Bund aber war ein poli- tisches Gebilde des 7. Jahrhunderts, und wie er alle Städte, die nicht eintraten, von den Joniern ausschloß, so machte er alle seine Mit- glieder zu gleichberechtigten Ioniern, schuf also den geographischen Begriff Ionien und gab dem Volksbegriff einen neuen Inhalt. Es ist

! Daß sie von außen kam, zeigt die Form NHneYc. P. FrıeprÄnver (Argolica 62)

ist durch konsequentes Denken dazu gelangt, das ganze Äolidenstemma der hesiodi- schen Kataloge nach Milet zu verlegen. Ich schließe aus der Gewaltsamkeit und ihrem Erfolge, daß kein anderer als der gewaltsame Verfasser der Theogonie diesen Grund- stock der Kataloge verfaßt hat.

2 Dort liegt z. B. Menik mönıc Kaplac nach Hekataios.

® Nach Polyb. 16, 12 wollen die ’laceic eigentlich aus Argos sein; das ist auf das “lacon “Arroc gebaut; dann einen Sohn des Neleus aus Milet bezogen haben.

* xricma TaaYkoy Stephan., also desselben, dessen Geschlecht auch ionischen Städten ihre Könige gab. Mylasa selbst hat einen König Herakleides gehabt, der bei Artemision mitgefochten haben soll. So lehrt das neue Sosylosbruchstück und seine Erläuterung durch Wırcken eben im Hermes 41. Sosylos wird seine Weisheit aus einer Sammlung von CTPATHTHMATA haben, Exzerpten alter Literatur, wie sie damals Alexandreia in Massen lieferte. Dort aber konnte man in der Tat ein Buch von Skylax noch besitzen, das mit dem, was dem Herodot z. B. über Demokedes vorgelegen hat, auf einer Linie steht. Die Bedeutung und den Erfolg des Manövers schlage ich allerdings nicht hoch an; es ist ein Vorzug, daß Herodot die Gefechte bei Artemision nicht als einen Sieg betrachtet.

von Wıramowrrz- MOELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. 69

weder befremdlich noch unberechtigt, daß der Halikarnassier Hero- dotos diese Ansprüche der zwölf Städte bekämpft. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß es vorher einen Namen gab, der die Be- wohner der Küste vom Mimas bis Didyma einerseits umfaßte, anderer- seits von ihren Nachbarn schied. Erst als sie das Gefühl der poli- tischen Zusammengehörigkeit vereinte, brauchten sie einen Gesamt- namen und haben den der Ionier gewählt.

Es konnte nicht ausbleiben, daß sich nun der Glaube an gemein- same Herkunft und gemeinsame Eroberung Asiens bildete und bald entsprechende Geschichten erzeugte, glücklicherweise ohne die älteren Sondertraditionen zu zerstören. Es gibt zwei solche Geschichten; die ältere leitet die Ionier aus Achaia her. Älter muß sie sein, da die Ableitung aus Athen zu allen Zeiten durch billige Hilfsmotive die Ionier oder den Ion! erst noch nach Achaia bringt, schon bei Herodotos. Das Achaia, das wir allein kennen, hat dieselbe Be- völkerung, die auch nördlich vom korinthischen Busen als Ätoler, Lokrer, Phoker usw. wohnt. Sie hat weder mit Äolern noch mit Ioniern irgend etwas zu tun. Keine Sonderüberlieferung irgendeiner asiatischen Stadt führt auf diese Landschaft, die für die Geschichte bis auf Arat keine Bedeutung hat, für die Kultur überhaupt nicht.” Die Ableitung hat also keinen realen Inhalt. In ihrer ausführlichsten Darstellung spielen die aus Sparta vertriebenen Achäer und ein Sohn des Orestes eine Rolle. Söhne des Orestes, zuerst sogar er selbst, sind auch die Führer der sogenannten äolischen Wanderung, und da treten die Stammbäume der Könige von Mytilene und Kyme hinzu. Aber auch die Äoler haben mit den realen Bewohnern von Achaia nichts zu tun. Also liegt auch hier kein realer Inhalt zugrunde, wenigstens nicht, soweit es Achaia angeht. Es handelte sich bei dieser Kombination von Hause aus gar nicht um eine Auswanderung

ı So bei Velleius I, 4 und Vitruv IV, ı, bei dem ersten direkt von Athen. Das ist aber doch sekundär, denn der Bericht verfährt mit der Tradition so gewaltsam, daß er die äolische Wanderung später ansetzt. Immerhin ist es kein Irrtum der beiden Lateiner und mochte rationeller erscheinen als ein Umweg, der Ion gar nicht in sein Land gelangen ließ.

?2 Die Frage, woher der alte Achäername in der Landschaft von Helike bis Dyme sich so auf neue Bewohner übertragen hat, wie der ätolische an dem Ufer gegenüber, ist hierfür irrelevant. Vermuten mag man, daß die Bewohner des lang- gestreckten Küstenlandes ihn ebenfalls dem Epos entlehnten, als sie sich zu einem Bunde von ı2 Städten vereinigten und Kolonien nach Italien schickten. Wir wissen ja von ihnen so gut wie nichts. In Sparta hat der Achäername vollends gar keine andere Realität, als daß man Agamemnon von Amyklai das homerische Volk beherrschen ließ. Wäre es anders, so würde es Achäer in Argos geben; aber da lieferte das Epos Arreio. Der Achäername ist genau so leer wie der Hellenenname, außer in Phthia, d.h. dem Phthia Achills.

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von Äolern oder Ioniern, sondern von Griechen: da lag die Einführung des Achäernamens nahe. Achäer heißen ja bei Homer die unter Aga- memnon vereinigten Völker mit einem Gesamtnamen, während Äoler und Ionier noch nicht existieren. Achäer waren also den Hörern Homers Ionier und Äoler, die Bewohner ihrer alten Heimat, deren sie nicht vergessen hatten, ungeachtet aller Einzelstämme. Achaia heißt auch die älteste Hellenenburg auf Rhodos.‘ Es war natürlich, daß der Zug, als den sich ihnen die Eroberung ihrer neuen Sitze nach Analogie der Iliosfahrt Agamemnons darstellte, ein Zug von Achäern war, und daß ein Sohn Agamemnons ihn führte. Die Folge- rung, daß der Zug der Achäer aus dem Lande gekommen war, das nun Achaia hieß, stellte sich ohne weiteres ein, sobald man sich im Mutterlande umsah. So versteht man diese Herleitung ohne Mühe; aber damit verliert sie auch jede reale Bedeutung. Sobald sich jener Gegensatz unter den asiatischen Griechen herausstellte, den die poli- tischen Bünde repräsentieren, mußte man nach neuen Samtnamen greifen, und da haben Kolophon, Samos, Milet und Nachbarn den Ioniernamen gewählt, und vor dem ist der achäische zurückgetreten. Es ist aber einmal eine Zeit gekommen, wo man ihn wieder vor- holte. Das war in den kurzen Jahren der spartanischen Herrschaft; Timotheos von Milet hat es uns gelehrt. Er verleugnet den Namen Ionier, während ein Menschenalter vorher Herodot noch sagen konnte, daß die asiatischen Ionier auf diesen Namen Wert legten, obwohl er damals bei den übrigen Griechen, die Herodot für Ionier hielt, vor allem bei den Athenern, unbeliebt war, weil er den Nebensinn des Verweichlichten und Lasziven angenommen hatte, der dem ionischen Verse und dem ionischen Tanze immer geblieben ist.”

Als Athen den asiatischen Griechen das Perserjoch abnahm, be- stand der Bund der zwölf ionischen Städte nicht mehr. Athen ging darauf aus, alle seine Untertanenstädte als Kolonien zu bezeichnen, um dadurch seiner Herrschaft eine innere Berechtigung zu geben. Wir lesen davon in offiziellen Dokumenten. Herodot, der Wahlathener, betrachtet alle Ionier im weitesten Sinne als ausgegangen von Athen: von der ionischen Wanderung als einer einmaligen Expedition athe- nischer Auswanderer unter Führung von Kodrossöhnen weiß er aber noch nichts. Der Pherekydes, der das als erster tut, kann wahrlich nicht gegen ihn aufkommen, und es gibt keine Instanz dagegen, daß

Hermes XIV, 457. ® Dafür sollte es genügen, an das AlakAaAn "lonıköc, die "lonıkA AıcmaTa (Timotheos S. 66) in der Komödie und sonst zu erinnern. Aber auch bei Thukydides liegt im Jonischen das manakön, z.B. 8, 25. Noch Platon stellt der Karreria des Sokrates nicht ohne Absicht ein paar lonier zur Seite, Symp. 220d.

. . . m von Wıramowrrz-MOELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. al

diese ionische Wanderung, die spätere Vulgata, ein Reflex des atti- schen Reiches ist. Den Kodros kennt Athen als Neliden von Pylos und König Athens, zuerst die athenische Kodrosschale. Aber wir können von dieser vielumstrittenen Figur absehen, denn ein Athener ist er nie gewesen und in Ionien ist er bisher nicht nachgewiesen.' Ein glaubhafter Zusammenhang besteht nur zwischen Milet und Athen. Aber auch hier haben die Grabungen in Milet eine moderne Annahme zerstört, die ich selbst sogar besonders ausgebildet hatte. Milet hat in alter Zeit nur drei Phylen gehabt, und nur eine von ihnen ist mit einer altattischen identisch. Überhaupt ist nicht mehr daran zu denken, daß die attischen vier irgendwo so bestanden hätten, daß sie für athenische Herkunft Zeugnis ablegten.. Wenn Herodot sie ionisch nennt, so kann das nur besagen, daß sie einzeln hier und da bei Ioniern, nicht nur in Asien, bestanden. Aber seine Angabe mußte uns allerdings irreführen. Dagegen haben die Steine gelehrt, daß Priene bei seiner Neugründung und auch Milet einmal wirklich ihre Phylen aus Athen bezogen haben, aber die des Kleisthenes: da- mals glaubte man an die athenische Herkunft.

Der einzige Vers der Ilias (N 685), der die »Jaones in den langen Röcken« nennt, versteht darunter die Athener.” Aber wenn die Athener Ionier sind, wie soll das bezeugen, daß die Ionier Athener seien? Zur Erklärung zieht man passend den anderen Vers des alten Epos heran, der dieselben Iaones nennt. Das geschieht in dem Hymnus auf den delischen Apollon, der schwerlich viel jünger als jene Partie der Ilias ist. Da sind die Ionier die Festgenossen der delischen Pane- gyris, also die Bewohner der Kykladen, Athener, Leute von Euboia; auch die Asiaten werden nicht fehlen, ist doch der Dichter selbst aus Chios. Hier ist also Ionier ein weiter Volksbegriff, die Bezeich- nung einer auf gemeinsamer Sprache, Sitte und Religion beruhenden Volkseinheit, also gar kein politischer Begriff. Wenn Leute von Lesbos und Kos auf der Panegyris waren, wie sie es zweifellos waren, so mußten sie sich gefallen lassen, mit unter die Ionier gerechnet zu werden; so geht es den Äolern ja auch auf den attischen Tribut-

! Ein Grab konnte er dort natürlich nicht haben, da ja seine Söhne erst hin- kommen. Übrigens kann das Sprichwort eyYrenecreroc Köaroy schwerlich athenisch sein, und Lykophron 1389 sagt von der Besiedelung der triopischen Hexapolis oi A’ AY TETAPTOI TÄC AYMmAnTeloY crIoPÄc AAKMONIOI TE KAI KYTinaloI KöAPol. »Die vierten sind die köaroı aus Thessalien und Doris von Dymanengeschlecht«, da wird natürlich mit Kodros gespielt, den er bei der ionischen Wanderung übergangen hat; aber es ist kein Eigenname und auch nicht eYfseic, wie die moderne Erklärung ist (die Scholien irren noch schlimmer), sondern APxaloı, &k TIANAIOY EYreneic.

2 Auf den Athener”lacoc O 337 läßt sich gar nichts bauen; der Name kommt z.B. in Orchomenos vor, gehört zum “lacon “Arroc, und warum nicht zu der Karerstadt ”lacoc’

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listen, wo sie im "lunıköc ®öroc stehen. War dieser Begriff gegeben, so konnte ein Epiker Asiens, der ja die griechische Besiedelung seiner Heimat und der Inseln ignorieren mußte, die Athener als Ionier be- zeichnen. Genau in demselben Sinne faßt Herodotos den Begriff und läßt alle Ionier aus Athen stammen. In der Amphiktyonie von Delphi haben die Ionier als Volk, &enoc, zwei Stimmen, eine kommt davon auf Athen, die andere auf Euboia: da haben wir dasselbe, und zwar stehen sie neben denselben Stämmen wie bei Homer im N. Dasselbe meint Solon, der Vertreter der Ionier in Delphi gewesen ist, wenn er Athen die vornehmste, meinethalben auch die älteste Stadt Ioniens nennt.' AI das wäre ganz undenkbar, wenn der Name von den zwölf Städten Asiens stammte. Dagegen begreift man ohne weiteres, wie diese ihn gewählt haben, als sie ihren Bund von Äolern und Dorern, Karern und Lydern absondern wollten. Sie wählten ihn, weil sie sich in dem Sinne als Ionier fühlten, wie es die Umwohner des deli- schen Apollon taten, und vielleicht war die Stiftung von Panionien zuerst nicht eine unberechtigte Ausschließung, sondern eine Hoffnung auf künftigen Beitritt der anderen. Der Ioniername hat also im Kultur- kreise von Delos dieselbe Rolle gespielt wie der Achäername bei Homer, wie im Mutterlande, offiziell wohl zuerst in Olympia, der Hellenen- name, der dann den Sieg davongetragen hat. Aber die Orientalen haben für die Griechen immer den Ioniernamen verwandt: nicht von den zwölf Städten, sondern von dem delischen Kulturkreise, zu dem freilich die Küstenstädte Asiens auch gehörten, haben sie ihn über- nommen. Es wäre sehr wichtig, wenn die Orientalisten die Zeit der Übernahme bestimmen könnten.

Die Orientalen haben den Namen übernommen, als er noch Iavones lautete. Das ist bei den Griechen ganz vergessen, und nur das Epos hat wenigstens die offene Form literarisch erhalten. Seltsamerweise ist aber die Betonung ganz und gar verschollen, die sich aus der Kontraktion mit Notwendigkeit ergibt. Auch die Nebenformen und Ableitungen” geben Rätsel auf, deren Lösung durch die Sprachwissen- schaft wahrscheinlich bedeutende Konsequenzen für die Geschichte haben

! ırecsYTatoc bedeutet seiner Herkunft nach nichts anderes als rıpecsicroc, also den Vorrang, nicht das Alter. Beruht er auf diesem, so heißt das eigentlich rırec- BYTAToc renefl, Z 24. Die mPecgYTAtH rala "laoniHuc bei Solon kann übrigens wirklich nicht ihren Vorrang aus dem Alter ableiten, denn die Länder sind doch nicht wie Kinder oder Städte hintereinander geboren.

2 “JAc und “lacti gehört zu “lanec mit zwei kurzen Silben bei Aischylos Pers. 949, und "laına, das Meister (Ber. Sächs. Ges. 1894) bei Sophokles Fg. 58 (Hesych “lAanna) hergestellt hat. Wenn Oppian Kyneg. ı, 172 “lonec schreibt, so ist das wohl sein Versehen; die illyrischenlonec, nach denen der “lönioc rröntoc heißt, konnten ihn ver- führen. Aber ob sie nur zufällig anklingen

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von Wıramowırz-MorLLENDORFF: Über die ionische Wanderung. 73

wird; bisher fehlt selbst den ebenso geistreichen wie ansprechenden Vermutungen unseres PnıLıpp Burtmann die grammatische Begründung, die gerade dieser große Forscher jetzt unbedingt verlangen würde. Nur so viel läßt sich zuversichtlich sagen: die Betonung “lun und “lunec ist nieht in Asien entstanden. 7

Am letzten Ende wird der Ioniername von einem kleinen Stamme herrühren, ebenso wie der der Achäer und Hellenen; der Stamm wird auch wie jene bis nach Thessalien hinauf zu verfolgen sein; aber für die Herkunft der asiatischen Ionier wird das ebensowenig ausmachen wie für die der Athener.

Sehen wir nun die obenangeführten Einzeltraditionen an. Da finden wir Leute aus Böotien in Teos, Kolophon, Milet, Priene; aber auch die Lesbier fühlen sich grade den Böotern verwandt. Aus Thessalien kommen Äoler, aber ebensogut Magneten und Triopas von Knidos und Thessalos von Kos. Aus der Argolis kommen Leute nach Samos, Klazomenai, Kos, Halikarnassos, Rhodos. Das sagt genug: die Herkunft aus der oder jener Gegend kann die Unterschiede von Äolern, Ioniern, Dorern nicht bedingen. Schon aus diesen Tradi- tionen, und noch viel deutlicher, wenn man die Namen von Phylen und Geschlechtern hinzunimmt, tritt mit Evidenz hervor, daß alle diese Städte keine planmäßig angelegten Kolonien sind, wie sie später Milet, Phokaia, Rhodos usw. ausgesandt haben, sondern Volkssplitter sind ziemlich überallher überallhin geworfen, und aus ihnen hat sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte ein neues Volkstum gebildet. Nur die bitterste Not hat die Auswanderer in dieser Weise durcheinanderwirbeln können. Wäre er nicht überliefert, man müßte den Einbruch fremder

- Eroberer erschließen. Und das ganze wunderbare Wesen der asiatischen

Griechen, der Ionier zumal, in Poesie, Religion und Wissenschaft, läßt sich nur aus dem Elende eines entwurzelten Abenteurertumes begreifen.

Ein Volkselement kommt aber als das älteste fast überall vor, die Kreter, in Chios und Kolophon, in Milet und Rhodos, und gerade Kreter konnten durch keinerlei Beziehungen der späteren Zeit hinein- getragen werden. Genau so steht es auf den griechischen Inseln, bis Keos und Skyros und Ikaros; und da wissen auch Herodotos und Thukydides von einer Seeherrschaft des Minos zu berichten. Die Sonderüberlieferung der Inseln, die ich nicht verfolgen will, bestätigt das auf Schritt und Tritt. Wir haben dem zu geringe Bedeutung beigemessen. Angesichts der kretischen Macht und Pracht, die von den Engländern und Italienern entdeckt ist, gewinnt es eine große Bedeutung, und selbst die Kombinationen der antiken Lokalforscher, die zwischen der Troas und Kreta einen Zusammenhang suchten, er- fordern erneute Prüfung.

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Dazu tritt ein Zweites. Auf den Inseln und an der asiatischen Küste treffen wir unter und neben den Griechen das vorgriechische Volk, das wir meist Karer nennen, nach dem Stamme, der auf den Inseln und in Asien vor den Ioniern weichen muß, aber auch auf dem europäischen Festlande vor und mit den Griechen gesessen hat. Seine Verwandten sind nach Herodot die Lykier, und auch die fehlen nicht, z.B. in Erythrai; in der Troas kennt sie die Ilias. Das Bergland, das die Griechen Lykien nennen, dessen Volk sich aber den Namen Tremilen gab, ist ohne Zweifel von der See aus besetzt, wie auch die Tradition lautet; auch von den Karern muß man geneigt sein, dasselbe anzu- nehmen. Diese Völker haben also genau dasselbe Geschick gehabt wie die griechischen Besiedler Asiens. Man soll sich nicht wundern, wenn man auch ihre Splitter an weit entlegenen Orten antrifft. Auch diese Völker leitet die Tradition aus Kreta her, und wahrlich, das Vorkommen von Namen wie Priene und Milet in Kreta und Karien ist unzweideutig. Solche Übereinstimmungen fehlen aber auch in dem eigentlichen Grie- chenland nieht: Mykale-Mykalessos liegt auch in Böotien und ist ein karischer Name. Ganz ebenso wie eine griechische hat es also eine karisch-]ykische Wanderung gegeben.

Und ein Drittes. Keineswegs überall ist das Verhältnis zwischen den Karern oder wie sie heißen und den Griechen feindlich. Ganz unbefangen nennt sie die Tradition von Erythrai unter ihren ältesten Besiedlern, und Samos besteht aus der Griechenphyle Astypalaia und der Karerphyle Chesia. Ja, Herodot erzählt, daß irgendwo ein Doppel- königtum von Lykiern aus dem Stamme des Glaukos und von Griechen bestanden habe, Könige aus Glaukos’ Stamme öfter vorkämen. Die Szene der Ilias, in der Diomedes und Glaukos sich begrüßen und beschenken, reflektiert ein solches Verhältnis. Im Grunde fühlen ja selbst Troer und Achäer keinen Rassengegensatz. Der Stamm der Pamphyler', der freilich den Begriff der Mischung im Namen trägt, ist sowohl hellenisch wie barbarisch. So müssen wir für die Zeit der Wanderung ganz not- wendig den Rassengegensatz ganz anders einschätzen, als seine heutige Übertreibung nahe legt. Und wenn wir von da zurückblicken auf die kretische Kultur und Kunst, so ist vielleicht die scharfe Antithese, Griechen oder Karer, gar nicht zulässig. Vollends in der Wanderzeit mußten beide den Orientalen häufig als dasselbe Volk erscheinen, mochten sie nun als Seeräuber einfallen oder als Reisläufer Dienst suchen. Den Griechen sind 1000 Jahre später die Nordvölker, die sie Skythen nannten, auch alle durcheinander gegangen. Natürlich gibt das Ergebnis einer chaotischen Wanderschaft kein Bild von diesem Chaos. Wie viele Siede-

! Pamphyler außer in Erythrai und Pamphylien besonders als die Urbewohner des Maiandrostales in der Gründungssage von Magnesia.

von Wıramowrrz-MoELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. 3

lungen werden eine Weile Bestand gehabt haben, die dann später zu- grunde gegangen sind oder deren Spuren uns in der Vereinzelung rätsel- haft bleiben. Auf Kypros, in Pamphylien haben sich die Griechen gehal- ten; die Philister, die doch auch aus Kreta stammen sollen, in Gaza und Azotos. Nordsyrien hat sich der Einwanderer erwehrt; aber Panammu von Sendjirli trägt doch den Karernamen Panamyes, wie mancher Hali- karnassier heißt, der sich als Grieche fühlte, und in dem fruchtbaren Kilikien, Tarsos, Aigeai, Mallos sind nicht alle Spuren griechischer Einwanderung verwischt. Es wird niemals möglich sein, wirklich zu erkennen, warum am Ende aus dem Chaos hier eine lykische oder karische oder griechische Stadt auftaucht, und wenn sie griechisch ist, warum sie äolisch oder ionisch oder dorisch ist. Natürlich liegt sehr viel an den Ingredienzien, die sich in ihr zusammengefunden haben, aber die neue Umgebung, die Nachbarschaft, die Übermacht der Zentra in Politik und Kultur, wirken nicht weniger. Wir entnehmen der Erde die Reste des Hausrates und der Bauten, der bildenden Künste: da braucht sich gar kein nationaler Unterschied fühlbar zu machen. Um so stärker tritt er in der Sprache hervor; aber da wirkt sofort das literarische Vorbild, also die Suprematie eines geistesmächtigen Ortes oder Standes oder Mannes wie Homer aus dem äolisch -ionischen Smyrna, sei er nun Person oder Typus. Sänger sind es, die das Äolische von Lesbos zu einer festen Sprache gemacht haben; Denker haben die ionische Sprache in Milet geformt, und die Sprache und Literatur zwingt zu über- einstimmendem Reden und Denken; sie nivelliert, um zu nationalisieren. Die Einheit ist das Endergebnis des geschichtlichen Prozesses. Es geht nicht an, sie in anderem Sinne in die Urzeit zu projizieren, als wir es " überhaupt mit den Fiktionen der Ursprachen tun. Aber gewiß, daß das Lesbische bei den Hörigen der Thessaler und den Herren der Kyprier so nah verwandte Mundarten findet, Lesbisch und Kyprisch, aber auch Ionisch, in den arkadischen Bergen, muß auch für die Geschichte der Volksstämme verwertet werden. Darum sind doch die Volks- und Sprachindividualitäten Äolisch, Ionisch, Dorisch erst in Asien ent- standen, und die Sprachen des Mutterlandes gehen in diese Dreiheit keineswegs auf.

Die relative Zeitbestimmung für die große Wanderung, die ja lange gedauert haben muß, in eine absolute umzusetzen, wird immer nur annähernd gelingen; aber einen wichtigen Punkt gestattet doch die spezifisch archäologische Forschung ohne zu fixieren. DRAGENDORFF hat die Gräber von Thera mit der Fülle ihres Inhaltes bis in das 9. Jahr- hundert hinauf verfolgen können. Nicht sehr viel früher ist also diese Insel von Kreta aus besiedelt, denn diese Herkunft wird niemand bezweifeln, der von dem Burgberge nach der Dikte hinüberschaut.

Sitzungsberichte 1906. 9

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Die Einwanderer aber gehörten bereits jenem Stamme an, der eigentlich allein Dorer heißen darf und Kreta, Sparta und Argos besetzt hat, Kreta, wie ich glaube, zuerst. Damit rückt diese letzte Völkerschie- bung, die der ganzen ihren Namen gegeben hat, noch in das 2. Jahr- tausend. Dagegen die dorische, auf die Herakliden von Argos zurück- geführte, und auch wirklich von dort stammende Besetzung von Kos und Rhodos muß später fallen. Sie fand vermutlich nicht viel andere Bevölkerung vor, als damals in dem nachmaligen Ionien saß. Und hier ergibt sich gleich eine Folgerung für Homer. Der Heraklide Tlepo- lemos steht schon in der Ilias, aber in einer Eindichtung unserer Ilias. Die Ahnen der Äoler und Ionier waren zumeist schon, ehe die eigentlichen Dorer kamen, aus ihren Sitzen verdrängt, wenn Verschie- bungen auch immer noch angedauert haben werden." Die Wanderungen der Karer und Lykier, wenn sie von den Griechen gesondert waren, kann man noch nicht einordnen, aber Priene und Miletos hatten ihre kretischen Namen, ehe sie griechische Herren erhielten. Nur muß man sich hüten, was man an einem Orte findet, zu verallgemeinern, und selbst von den Inseln ist manche minder verlockende erst sehr spät von Griechen besetzt, z. B. Ikaros und Amorgos. Das besonders fruchtbare Lemnos bietet die merkwürdige, schwerlich vereinzelte Er- scheinung, daß eine hellenische Position wieder verloren geht. Die Sage hat das Gedächtnis an das AnAmnıon Kakön erhalten. Da blieb das rätselhafte Volk Sieger, das die Griechen Pelasger oder Tyrsener nennen, jetzt vielfach auf Grund einer unverstandenen Inschrift des 6. Jahrhunderts vorschnell mit den Etruskern gleichgesetzt. Die in der Tat singuläre lemnische Kultur wird nun deutlicher werden, da C. Freorıcn, der die Insel im Auftrage unserer Akademie bereist hat, den Inhalt der Nekropolis aufgefunden hat, der auch jene Inschrift angehört: natürlich kann das für die alte Zeit nichts lehren. Von großem Werte ist auch die Entdeckung der Gräber von Delos, die im Jahre 424 von den Athenern nach Rheneia überführt sind, und ihrem hochverdienten Finder und Hersteller SravroruLos sollte recht bald Gelegenheit gegeben werden, die Ergebnisse seiner mühevollen Arbeiten so zu veröffentlichen, wie es den Funden von Thera zuteil geworden ist. Freilich die Beobachtungen, die Thukydides eben an jenen Funden gemacht hat, werden wir nicht kontrollieren können. Er sah an den Beigaben den Unterschied der karischen und griechi-

! Eine solche hat natürlich noch der Einbruch der Dorer in die Täler des Inachos und Eurotas gebracht und später die Eroberung Messeniens durch Sparta. Weil diese die letzten waren, müssen sie sich am leichtesten finden lassen. Also ist hier der Punkt gegeben, wo die Analyse der geschichtlichen Traditionen anzusetzen hat, wie immer Hand in Hand mit der Analyse des Epos und der Heldensage.

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von Wıramowrrz-MoELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. Zt

schen Bestattung. Davon ist nichts zu spüren: die Athener haben offenbar den Inhalt der Barbarengräber nicht von neuem beigesetzt. So bleibt gerade der wichtige ethnische Unterschied immer noch zu suchen: es fehlt eine spezifisch karische Nekropolis. Die Funde von Rheneia führen, soweit mir eine flüchtige Betrachtung zeigte, kaum über die von Thera hinauf. Wohl aber tun das die Scherben aus dem Athenaheiligtum von Milet, das außerhalb der späteren Mauern liegt und so bereits lehrt, daß die Stadt nach der Zerstörung von 494 eine starke Verschiebung erfahren hat. Aber wenn die Griechen auch wohl etwa um die Zeit nach Milet gelangt sind, auf welche die Alexandriner geraten haben, so wäre es vorschnell, dasselbe Datum auf Ephesos oder Halikarnassos zu übertragen. Nur die Spezialforschung an jedem Orte kann uns Antwort geben.

Die abenteuernden Auswanderer werden zuerst gelebt haben wie die Achäer vor llios, in Blockhütten, die Homer anschaulich beschreibt; wir übersetzenl eider meistens Zelte. Sie nährten sich von dem geraubten Vieh; die Fische verschmähten sie noch. Was sie erstrebten und erreich- ten war, als Herren über frondenden Ackerbauern zu stehen, in Häusern zu wohnen, wie sie Homer schildert, recht bescheidenen, die nur Vor- eingenommenheit mit der Pracht von Knossos und Phaistos vergleichen darf, und zu Wagen, später zu Roß, in den Streit zu ziehen. Dazu haben es die Kolophonier und Magneten gebracht, und noch die herrlichen Sarko- phage von Klazomenai aus dem 6. Jahrhundert zeigen ein solches Leben.

Im Mutterlande pflegt diese Ritterherrlichkeit dadurch ein Ende zu nehmen, daß die Bauern, die zinspflichtig oder hörig gewesen oder geworden waren, sich erst Anteil an den politischen Rechten, dann

_ die Herrschaft erkämpfen; in den Städten tun es die Handwerker des-

gleichen.‘ In Asien lagen die Verhältnisse anders, weil die Hörigen überwiegend Barbaren waren. Wirkliche Bauerndörfer hat es wenigstens bei den Ioniern schwerlich viele gegeben. Das war auf Rhodos und Kos der Fall, auch auf Lesbos, und dessen Pflanzstädte in der Troas, Neandreia z. B. und Assos” sind Ackerbaustädte, die zwar dauerbar sind, aber in ihrer Vereinzelung weder politische Bedeutung gewinnen, noch die Kultur expansiv verbreiten. Dagegen Kolophons Macht ist wie die Magnesias gebrochen, als ihre Ritterschaft von den Lydern

! In Chalkis, Korinth, Aigina hat sich die Aristokratie neben dem Großhandel gehalten; wir können leider weder von der Verfassung noch von den wirtschaftlichen Verhältnissen dieser wichtigen Orte eine Vorstellung gewinnen.

2 Assos (die Athener schreiben Hessos; der Name ist offenbar karisch) sielıt auf der Karte wie eine Seestadt aus. An Ort und Stelle sieht man, daß es den An- siedlern in Wahrheit auf den Ackerbau im Tale des Satnioeis ankam; es fehlt ein Hafen und eine Strandebene. Eine solche äolische Landstadt im altäolischen Asien ist auch Aigai, nach dem man sich die übrigen vorstellen kann.

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78 Öffentliche Sitzung vom 25. Januar 1906.

und Treren vernichtet ist. Noch aus den Inschriften von Priene sieht man, daß der Zins der meist stammfremden Bebauer des Mäander- - deltas und der alten Mark von Melia die Bürger der Kleinstadt nährt; vermutlich war der Übermut Melias, gegen den die Ionier sich zu ihrem Bunde zusammenschlossen, die Erhebung der Landbevölkerung nördlich von der Mykale, durch die sich alle Nachbarn bedroht fühlten.! Auch Milet hat einmal vorwiegend von dem Ackerbau auf seiner Halb- insel gelebt, den die hörigen Gergither besorgten,” und es hat nicht an wohlmeinenden Politikern gefehlt, die nur in der Landwirtschaft das Heil der Stadt sahen.” Damals waren die wirtschaftlichen Zu- stände denen Spartas gar nicht unähnlich; die Männer lebten von ihren Frauen getrennt in Syssitien,' von denen das Kollegium der moaroi das vornehmste gewesen zu sein scheint, wenn sein Vorstand, der Aisymnetes, zum eponymen Beamten der Stadt geworden ist.° Aber für die Zukunft entscheidend ward es, daß Milet mit allen ritterlichen Idealen brach, die Industrie, vor allem die Wollweberei, an die Stelle des Ackerbaues trat, für den die aufstrebenden Völker des Hinter- landes keine neuen Äcker hergaben. Daher der Aufschwung der Schiff- fahrt zum Vertriebe der Waren und die Errichtung von Faktoreien und Handelskolonien. Daher der Ersatz des Ritterheeres durch die Flotte. Die “‘Immerschiffer’, Acınarraı®, von Milet sind eine Analogie

! Die Samier haben allerdings schon Kleruchen hinübergeschiekt, und in ihrem späteren Besitze Anaia sind dann, freie Bauern; aber sie haben einen Teil der Ernte in natura an die Hera zu liefern. Die hellenistische Zeit beginnt, die römische der ersten Jahrhunderte vollendet die Befreiung der halb- oder ganz hörigen Bevölkerung Asiens; die Hellenisierung ist immer die Vorbedingung.

®2 Herakleides bei Athen. 523.

® Phokylides, Fragm. 7. Das ist auch der Sinn des novellistisch ausgeputzten Schiedsspruchs der Parier, Herodot 5, 28. rala TICTÖN, eAnacca Arııcton, Spruch des Thales bei Demetrios.

* Platon, Ges. 6365. Für die Abgeschlossenheit der Frauen gibt schon Herodot ein AlTıon; eben daher die obszönen Späße über ihre cKkYTinH Ermkoypla. Übrigens schildert Andromache im X ein solches Männermahl.

° Dies scheint nach den vorläufigen Mitteilungen über die Eponymenlisten der Fall gewesen zu sein. Dann hat später der Aisymnetes den Kranz des Zevc ‘OAYmrioc erhalten, der in sehr vielen Städten bald nach Alexander (ob nicht durch Alexander?) dem Epo- nymen den Namen CTEsANH®öPoc gibt. Man kann sich den Wechsel kaum anders als durch eine Verordnung von autoritativer Stelle hervorgerufen denken. Übrigens hätte ich die moAriol nicht Sänger, sondern Tänzer nennen sollen; oflenbar bewahrte das Wort die homerische Bedeutung (vgl. Leuss, Aristarch ° 138). Damit werden sie den öPxHCTAI von Thera und Athen ähnlicher; auch die Kuretenkollegien haben sakrale Tänze vollführt.

° Den Peripatetikern war der Sinn ganz verschlossen (Plutarch, Qu. Gr. 32). Be- zeichnenderweise bestehen sie auch in Chalkis, dort neben den inmosötal. Ob die AeınaYTaı bloß die Trierarchen, d.h. die Kapitäne waren, oder auch die Seesoldaten und Ruderer, läßt sich noch nicht sehen. Die Verpflichtung der Bürger, die sich nicht selbst equipieren können, also nicht Hopliten werden, zum Flottendienste ist in Athen das Komplement zur Trierarchie der Reichen; aber die Schiffsoffiziere pflegt doch der Trierarch

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von WiırLamowrrz-MoELLENDORFF: Über die ionische Wanderung. 79

zu den Naukrarien Athens, sind die Vorläufer der attischen Trier- archie. Die Pflicht, jederzeit auf Befehl des Staates mit einer Galeere in den Krieg zu ziehen, entspricht der alten Hippotrophie, der Pflicht, auf eigenem Pferde als Ritter zu dienen, die uns die Zeit des griechi- schen Adelsstaates so gern mit unserem Mittelalter vergleichen läßt. Von dem Leben der Ritter in Smyrna und Kolophon, das sich ganz um Krieg und Waffenspiel und Weidwerk dreht, hat die Poesie Homers, aber erst des ionischen Homer, ein buntes Bild mit den Erinnerungen an die große wilde Wikingerzeit verwoben. Nicht zwei Jahrhunderte nach dem Abschlusse der Ilias beginnt in Milet, das die Welt vom Phasis bis zum Guadalquivir, vom Don bis zum Nile kennt, die Natur- wissenschaft des Thales. Welch ein Abstand; was müssen diese wenigen Generationen erlebt haben, äußerlich und innerlich. Ob die Poesie oder die Philosophie der Griechen für die Menschheit wertvoller ist, stehe dahin: in Ionien wurzeln beide.

Da ist es wohl eine Aufgabe, aller Anstrengung und Hingebung wert, den Boden kennen zu lernen, der diese Früchte ewigen Lebens hat wachsen lassen. Wie ist die Poesie Homers, wie ist die Philo- sophie Anaximanders möglich geworden? Danach fragen, heißt, nach der Geschichte und dem Leben Ioniens in ihrer Zeit fragen. LAacHMmAanNn hat das nicht getan; SCHLEIERMACHER, dessen Abhandlung über Hera- kleitos 1807 das Studium der ionischen Philosophie eröffnet hat, hat es auch nicht getan. Und er wenigstens konnte es auch nicht, weil alle Mittel zur Erkenntnis fehlten. Die Aufgabe zu lösen, ist auch unsere Generation noch außerstande; aber das Ziel kann sie doch aufstellen, und der rechte Weg ist mit der planmäßigen Durchforschung des ionischen Bodens beschritten. Gewiß, den Abschluß dieser Arbeit, die für die eigentlichen Ziele doch nur Vorarbeit ist, wird kein Auge schauen, das heute leuchtet. Aber ein jeder rechte Arbeiter bescheidet sich gern, selbst nur seines Tages Werk zu tun, wenn er den Glauben hat, daß der Tag der Erfüllung kommen werde. Unsere Akademie, der SCHLEIERMACHER und Lacumann, Burrmann und Böcku angehört haben, wird jenen Tag schauen; sie wird würdig sein, ihn zu schauen, wenn sie an dem Werke jedes Arbeitstages rüstig hilft, aber zugleich auch dafür sorgt, daß die Ziele niemals niedriger gehalten werden, als sie die Wissenschaft selber steckt.

zu dingen und überhaupt den Sold zu zahlen, wenn er auch aus der Staatskasse kommt. Wie das bei der Reform des Themistokles und gar zur Zeit der Naukrarien war, wissen wir nicht. Man möchte doch die Naukrarie den Aeinauten zunächst vergleichen.

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Alsdann wurden die Jahresberichte über die von der Akademie ge- leiteten wissenschaftlichen Unternehmungen sowie über die ihr ange- gliederten Stiftungen und Institute erstattet.

Sammlung der griechischen Inschriften. Bericht des Hrn. von WıLAMOWITZ- MOELLENDORFF.

Das wichtigste Ergebniss des abgelaufenen Jahres ist, dass die Akademie denjenigen Teil der delphischen Inschriften, den sie über- nommen hatte, in der Bearbeitung des Hrn. Dr. Ponrow an die fran- zösische Akademie abgeliefert hat, der die Herausgabe zusteht. Beide Akademien waren schon früher übereingekommen, für diese Inschrif- ten von einer Publication in Majuskeln abzusehen. Hr. Dr. Ponrow hat sich hiermit aber nicht einverstanden erklären können, so dass sein Name als Bearbeiter auf dem Titel nicht erscheinen wird. Doch wird seiner sehr mühevollen und weitgreifenden Bearbeitung der vor den französischen Ausgrabungen gefundenen Steine Dank und Aner- kennung nicht fehlen. Auch ist ihm sein Manuscript leihweise zurück- gegeben, nachdem es für die französische Akademie copirt war, und beide Akademien haben ausdrücklich vereinbart, dass er in seiner eigenen freien Weiterarbeit nicht behindert sein soll.

Im Drucke befinden sich nur die thessalischen Inschriften, und der Bearbeiter, Hr. Prof. Kerv in Rostock, ist durch die Übernahme der Geschäfte des Oberbibliothekars gezwungen gewesen, den Druck zu unterbrechen. Doch hat er die Fortsetzung in nahe Aussicht gestellt.

Mit lebhaftem Bedauern müssen wir aussprechen, dass unser Mitarbeiter Hr. DrrLamAarrE in Paris durch dauernde schwere Krank- heit immer noch verhindert ist, an die Inschriften von Amorgos die letzte Hand zu legen. Aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass er bereits im nächsten Jahre die Kraft gewinne, sein Manuseript abzuschliessen.

Hr. Prof. Hrrzos hat seine Grabungen auf Kos zum Abschluss gebracht und ist nun mit der Verarbeitung der Funde beschäftigt. Dazu gehören die Inschriften, die er schon früher für die Akademie über- nommen hatte. Die Verzögerung kann gegenüber dem Gewinne nicht in Betracht kommen, und die Arbeit ist in rüstigem Fortschritte.

Hr. Dr. KorLee, über dessen Reisen in Messenien und Lakonien im vorigen Jahre zu berichten war, hat eine Professur in Rostock übernommen, was einige Verzögerung unvermeidlich macht.

Hr. Dr. Frepeıcn hat mit Recht die archäologischen und topogra- phischen Ergebnisse seiner Reisen auf den thrakischen Inseln vor der

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Berichte über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Akademie. s1

Bearbeitung der Inschriften veröffentlichen wollen, da es für sie be- sonders wichtig ist, dass die Eindrücke der geschauten Objeete noch frisch sind. Ausser einem Schulprogramme über Halonnesos sind be- reits mehrere Abhandlungen in den athenischen Mitteilungen gedruckt, denen andere folgen werden. Ganz besonders erfreulich ist, dass ein englischer Gelehrter, Hr. A. J. B. Wacr, der einen Theil der Orte auch besucht hatte, seine Beobachtungen und Aufnahmen Hrn. Freorıcn zur Verfügung gestellt hat. So wird der Wissenschaft am besten gedient, und wenn der epigraphische Ertrag der Reisen, die zunächst den In- schriften galten, hinter anderen Funden zurücksteht, und danach auch in der Veröffentlichung verfahren wird, so könnte das nur unwissen- schaftliche Engherzigkeit bedauern.

Die Neubearbeitung der attischen Inschriften der römischen Zeit wird allgemein als besonders dringend empfunden. An dieses schwie- rige Unternehmen hat sich Hr. Prof. Jon. Kırcnuwer gemacht; es ist ihm aber zweifelhaft geworden, ob sich die zeitliche Abgrenzung des alten Corpus Inscriptionum Atticarum aufrecht halten lässt. Daher steht die Entscheidung darüber noch aus, wie weit sich diese Erneue- rung erstrecken wird. Aber die Mitarbeit eines so bewährten For- schers, die für das ganze Unternehmen von grosser Wichtigkeit ist, darf zuversichtlich erhofft werden.

Der wissenschaftliche Beamte der Akademie, Freiherr HırLer von GAERTRINGEN, hat seine Hauptkraft auch während dieses Jahres den Inschriften von Priene zugewandt, die er für die Königlichen Museen übernommen hat. Der Abschluss darf in Jahresfrist erwartet werden. Doch hat seine Tätigkeit für das Archiv keineswegs geruht. Die Excerpirung der alten Litteratur und die Beschaffung von gedrucktem Material, das ohne Weiteres den Scheden eingeordnet werden kann,